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Das Wiegen der Seele (German Edition)

Das Wiegen der Seele (German Edition)

Titel: Das Wiegen der Seele (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Ullsperger
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anzustarren. Ein süßlicher, doch nicht allzu penetranter Verwesungsgeruch traf ihn wie ein leichter Schlag. Um ihn herum schien der Raum vor Blut zu triefen. Es befanden sich dunkelrote, klebrige Lachen auf dem Boden, sogar die Wände waren mit Spritzern versehen.
    „Sei vorsichtig und fass nichts an“, meinte Löffler.
    Nettgen ersparte sich den Hinweis, dass er ebenfalls Polizist war und wohl wusste, wie er sich in einer solchen Situation zu verhalten hatte. Er schrieb Löffler gedanklich fünf Minuspunkte an und beschäftigte sich dann wieder mit der Leiche.
    Der Mann war gut gekleidet, aber sein Oberhemd komplett aufgerissen. In seinem linken Brustkorb klaffte ein faustgroßes Loch. Nettgen hielt einen Augenblick inne. Eigenartigerweise verspürte er den grässlichen und glücklicherweise rasch überstandenen Impuls, sich zu bücken und mit dem Finger in die offene Wunde zu greifen. Er spürte seinen eigenen rasenden Herzschlag.
    Löffler, der gerade zu ihm hinüberschaute, entdeckte in Nettgens Augen das gleiche Entsetzen, mit dem er selbst zu kämpfen hatte. Nettgen schnippte seine eben erst angezündete Zigarette in eine Zimmerecke und hätte um ein Haar Löffler getroffen. Nicht ganz unbeabsichtigt, denn eigentlich wollte er ihn wegen seines unüberlegten Kommentars bestrafen. Löffler brachte sich mit einem hastigen Schritt in Sicherheit und schickte ihm einen vorwurfsvollen Blick nach.
    „Wer macht bloß so etwas“, dachte Nettgen laut, während sich seine Blicke zu den Kollegen wandten. „Hallo erstmal. Wie lange ist er schon tot?“, fügte er hinzu.
    Löffler kniete sich neben ihn. Er bot wie immer einen kuriosen Anblick: Für sein Gewicht war er mit knapp einem Meter sechzig  deutlich zu kurz. Die seltsame Brille und die bunte Krawatte ließen eher an einen Clown, als a uf einen Polizisten schließen .
    Visuell gesehen also eine Katastrophe, aber von seiner Art absolut korrekt und nett. Doch was Nettgen an ihm störte war sein Harndrang. Das war einfach nicht normal . Er verbrachte fast mehr Zeit auf dem Klo als auf seinem Bürostuhl, und Autofahren mit ihm war wirklich ein Erlebnis .
    „Ist schwer zu sagen. Wir vermuten, dass der Tod gestern zwischen achtzehn und neunzehn Uhr eingetreten ist. Genauere Angaben können wir erst gegen Mittag machen.“
    „Wer hat ihn entdeckt? Wisst ihr schon, um wen es sich bei dem Toten handelt?“, wollte Nettgen wissen.
    „Entdeckt hat ihn der Wachdienst dieses Geländes auf seinem Rundgang. In letzter Zeit haben wohl öfter Penner und Jugendliche hier ihr Unwesen getrieben, sodass der Eigentümer eine Sicherheitsfirma beauftragt hatte. Die Angaben des Zeugen werden im Moment noch festgehalten. Was den Toten betrifft, tappen wir noch im Dunkeln, kein Ausweis, keine Papiere. Aber das Portemonnaie ist noch da und scheinbar unangetastet. Also wohl eher kein Raubmord. Aber dreh dich mal um ...“
    Nettgen stand aus seiner knienden Position auf und blickte auf die Wand. Mit fassungslosen, stark irritierten Blicken begutachtete er das Mauerwerk. Er streckte die Hand aus und glitt behutsam über die raue, steinige Fläche.
    „Was zum Teufel hat das zu bedeuten?“
    Seine Augen sahen auf seltsame Symbole und Zeichen, die sich über die gesamte Wandfläche verteilten. Im ersten Moment ähnelte es einem Kunstwerk der Graffiti- Sprüher , dann jedoch ahnte er, dass dieses mysteriöse Werk mit dem Toten in Zusammenhang stehen könnte. Die Wand gab ihm ein Rätsel auf.
    „Licht! Ich brauche mehr Licht!“, rief er und winkte dabei hastig seinen Kollegen zu. Scheinwerfer wurden auf die Wand gerichtet und Löffler reichte ihm zusätzlich eine Taschenlampe. Nettgen schaltete sie ein und ließ den kräftigen Lichtstrahl über die Wand gleiten. Ihm stockte der Atem.
    Was er erblickte, kam ihm irgendwie vertraut vor. Die Zeichnungen ergaben einen Sinn. Aber so sehr er auch versuchte, sich zu erinnern, er konnte nicht sagen, welchen. Er vertagte seine Überlegung auf den Moment, wo der Kater von ihm ablassen würde. Jedoch machte ihm der bloße Anblick dieser Zeichen klar, dass es sich um weitaus mehr handelte als ein sinnloses Gekritzel.
    „Was soll das bedeuten?“, fragte Nettgen. „Was ist das?“
    „Ich weiß es auch nicht“, erwiderte Löffler. „Aber es könnte möglich sein, dass diese Zeichen was mit dem Mord zu tun haben.“
    Nettgen kniff die Augen zusammen, während er mühsam doch noch einmal versuchte zu verstehen, was es mit diesen Zeichen auf sich hatte.

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