Das Wiegen der Seele (German Edition)
Seine Neugier überfiel ihn. Dann runzelte er die Stirn, zündete sich hastig, fast beunruhigt eine Zigarette an und schaute zu Löffler.
„Macht mir Aufnahmen jedes einzelnen Zeichens und der gesamten Fläche. Habt ihr bisher Fingerabdrücke gefunden, oder irgendwelche anderen Hinweise?“
„Nein“, offenbarte Löffler und schüttelte den Kopf. „Bisher waren wir erfolglos. Wer das hier angerichtet hat, leistete saubere Arbeit, zumindest was seine Spuren angeht. Aber wir sind noch nicht ganz fertig mit der Spurensuche.“
Im gleichen Augenblick betrat ein weiterer Mann den Raum und stürmte auf die Kommissare zu. Löffler verzog das Gesicht und schüttelte behutsam den Kopf, verdrehte die Augen und starrte zu Nettgen.
„Guten Morgen. Hübner, ermittelnder Staatsanwalt. Grausam, was hier geschehen ist, wirklich grausam“, erklärte der dickliche Anzugstyp. Die Kommissare nickten nur. Dieser Staatsdiener war einer der ganz üblen Sorte. Die Kriminalpolizei war nie so richtig erfreut, wenn er am Tatort auftauchte und mit seinen dummen Kommentaren an der Leiche rumschnüffelte. Alle nannten ihn Narbenbacke, weil sein Gesicht von den Aknespuren seiner Jugend übersät war.
„Ich war kurz mal nebenan, um die Lage zu checken“ , meinte Hübner und fügte noch hinzu : „Ich könnte mir vorstellen, dass das Opfer den Täter kannte.“
„Wie kommen S ie darauf?“, fragte Nettgen.
„Nun ja, keine Spuren, keine Hinweise, außer dieses Gekritzel an der Wand. Das Opfer weist keine Druckspuren auf.“
Nettgen runzelte die Stirn. „Was für eine Erkenntnis“ , murmelte er. Im selben Augenblick wandte sich Nettgen noch einmal dem Leichnam zu. Er starrte in das gespenstische, bleiche Gesicht und berührte das starre Fleisch der Wangen mit einem Stift. Sein Blick hing wie hypnotisiert an dem Toten. Er schüttelte ein paar Mal den Kopf und hielt seine Feststellungen auf einem kleinen Tonbandgerät fest :
Achtzehnter Mai Zweitausend zwölf , sechs Uhr dreiundzwanzig. Tatort: Heisingen , Zeche Carl Funke . Bisher unbekannte Person. Männlich, circa einhundertachtzig Zentimeter groß, rund fünfundachtzig Kilo schwer, zwischen fünfundvierzig und fünfzig Jahre alt. Gut gekleidet, vermutlich Großstädter. Offene Wunde im Brustkorb, sonst bisher keine weiteren Erkenntnisse von Gewaltanwendung, wahrscheinlich kein Raubmord. Wand hinter dem Leichnam mit rätselhaften Symbolen versehen – warum kommen mir die bekannt vor?
Nettgen legte eine kurze Pause ein und notierte sich zusätzlich ein paar Anmerkungen in seinen Notizblock. Das machte er immer so, sein Motto lautete: Doppelt erinnert besser . Er zog sich Einweghandschuhe über, die er stets bei sich trug. Auch bei Festnahmen benutzte er sie. Für ihn gab es nichts Ekelhafteres, als sich an anderen die Hände schmutzig zu machen.
Er näherte sich dem weit geöffneten Mund des Leichnams und beugte sich über ihn. Ihm war so, als habe sich darin etwas bewegt.
Plötzlich schrie Nettgen entsetzt auf. Mit einem Satz schnellte er zurück, stolperte und landete unsanft auf dem Gesäß. In diesem Moment kroch aus dem Mund des Toten eine Art Käfer, pechrabenschwarz. Ein wenig erinnerte ihn das Tier an eine Küchenschabe, allerdings war es größer. Das Insekt versuchte zu flüchten, da versuchten zwei weitere schabenartige Tiere das Weite zu suchen.
„Schnell! Wir brauchen mindestens eines dieser Viecher!“ , rief Nettgen, rappelte sich auf und griff nach einem leeren Glas, das für die sichere Aufbewahrung von Beweisstücken verwendet wurde . Es dauerte einige Minuten, bis endlich das größte der seltsamen Tiere eingefangen wurde und sich gut verschlossen im Glas befand.
„Das wäre geschafft“, sagte Nettgen und klopfte sein staubbedecktes Sakko ab. Die Jagd hatte ihn atemlos gemacht und war seinem dröhnenden Schädel gar nicht gut bekommen. Er kämpfte mit aufkommender Übelkeit.
„Was ist das?“, fragte Löffler, der gerade wieder den Raum betrat, und deutete dabei mit dem Finger auf das Tier. „Ist ja ekelhaft. Seit wann betätigst du dich als Kammerjäger?“
Nettgen verdrehte die Augen. So konnte eben nur jemand fragen, der mal wieder bei den wichtigsten Ereignissen austreten musste .
„Keine Ahnung, was das für ein komisches Krabbelvieh ist“, meinte Nettgen. „Es ist aus dem Mund des Toten gekrabbelt, sonst hätte ich es wohl den Ratten überlassen.“
„Wo ist Narbenbacke?“, wollte Löffler wissen.
„Der verschwindet immer im richtigen
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