Das wilde Herz der Highlands
auf gleiche Weise getränkt war.
„Wir müssen schneller reiten! “, schrie sie, als sie Little George die Zügel wieder abnahm. Sie trieb den Hengst an und verlangte ihm alles ab. Es war gefährlich. Durch die Dunkelheit zu reiten war schon an sich riskant genug - man konnte ein Hindernis übersehen, oder das Pferd konnte straucheln oder sich durch einen falschen Tritt eine Fessel verrenken. Doch dieses Risiko musste sie eingehen. Nachdem sie so lange darauf gewartet hatte, dass Blake sie endlich holte, würde sie den Teufel tun und ihn in ihren Armen verbluten lassen.
Also schlug sie eine halsbrecherische Geschwindigkeit an, mit der sie ihre Verfolger gewiss hätten abhängen können, wenn Blakes Hengst durchgehalten hätte. Aber da er zwei Reiter trug, wurde er bald langsamer. Auch Little George und Aeldra mäßigten ihr Tempo, um ihnen nicht davonzureiten. Es dauerte nicht lange, bis Seonaid wünschte, sie hätten sich nicht zurückfallen lassen. Blake wurde immer schlaffer, bis sie sein ganzes Gewicht halten musste und sich daher nicht mehr umschauen konnte. Aeldra hingegen sah immer häufiger über die Schulter, sodass Seonaid sich denken konnte, dass ihre Angreifer aufholten. Als sie das Trommeln der Hufe hörte, meinte sie schon, sie würden es nicht mehr schaffen. Plötzlich jedoch ließen sie die Bäume hinter sich, und die tintenschwarze Finsternis des Waldes wich dem Schein des Mondes. Vor ihnen erstreckte sich eine baumlose Ebene bis zu der Burg, die ihr Ziel war.
Seonaid hätte vor Erleichterung fast aufgeschluchzt, als sie die Festung vor sich sah. Entschlossen trieb sie den Hengst an, ein letztes Mal all seine Kraft aufzubieten, und dankbar spürte sie, wie das Tier sich ins Zeug legte.
Auf halber Strecke zur Burg fiel ihr auf, dass der Hufschlag hinter ihnen leiser wurde. Ihre Gegner ließen sich zurückfallen; offenbar hatten sie die Verfolgung aufgegeben. Doch Seonaid wurde nicht langsamer, zu groß war ihre Sorge um Blake. Nach wie vor trieb sie ihr Pferd gnadenlos an, bis sie gezwungen war zu verlangsamen, da Eberhardt Castle bereits für die Nacht verrammelt war. Die Zugbrücke war hochgezogen, und das Tor war verschlossen.
Am Burggraben hielt sie an und schaute gerade rechtzeitig zum Wald zurück, um zu sehen, wie auch der letzte ihrer Verfolger verschwand. Little George rief etwas zum Wehrgang hinauf, nannte ihre Namen und erklärte, dass Blake Sherwell verletzt sei. Wer immer es war, der in dieser Nacht Wache hielt, kannte den Namen Sherwell zum Glück und ließ umgehend die Brücke herunter. Seonaid kam es trotzdem vor wie eine Ewigkeit.
Sobald der Weg frei war, trieb sie Blakes Hengst über die Brücke und in den Burghof. Erst vor der Treppe hinauf zum Wohnturm hielt sie an. Kaum hatte sie das Pferd zum Stehen gebracht, als Blake seitlich aus dem Sattel zu gleiten drohte. Sie mühte sich, ihn festzuhalten, damit er nicht zu Boden fiel, als das Portal des Wohnturms aufschwang und ein Mann auf sie zugestürmt kam, der fast so groß war wie Little George. Sein langes dunkles Haar flog ihm um den Kopf. Offenbar hatten sie ihn aus dem Bett geholt, denn er trug nichts als schwarze Hosen.
Dennoch wirkte er hellwach, eilte sogleich zu Seonaid und erfasste die Lage auf einen Blick. „Lasst ihn los“, befahl er und streckte eine Hand aus.
Sie kam der Weisung, ohne zu zögern, nach. Blake rutschte zur Seite, aber der Mann fing ihn auf und legte ihn behutsam auf dem Boden ab.
Rasch schwang sie sich vom Pferd und kniete neben Blake nieder. Mühsam schlug er die Augen auf und ließ den Blick von ihr zu dem Riesen an seiner anderen Seite gleiten. Er lächelte schwach.
„Amaury.“ Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, und sie beide mussten sich Vorbeugen, um ihn zu verstehen. „Hatte ohnehin vor, auf dem Heimweg bei dir vorbeizuschauen. Möchte dir meine Gemahlin Seonaid vorstellen“, fügte er an, und Seonaid bemerkte stirnrunzelnd, wie schleppend er sprach. „Frau, Amaury. Amaury, meine Frau.“
Seonaid und Amaury tauschten einen Blick, und sie war nicht erstaunt, Besorgnis in dem seinen zu erkennen.
„Blake!“
Über Amaurys breite Schultern hinweg sah Seonaid eine kleine blonde Dame mit üppigen Rundungen die Stufen herablaufen.
„Was ist geschehen?“, rief sie entsetzt, als sie zu ihnen stieß und Blakes blutbesudelte Tunika erblickte. Ohne auf eine Antwort zu warten, drehte sie sich zu den Bediensteten um, die sich im offenen Portal drängten, und brüllte:
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