Das wilde Herz der Highlands
Er hatte die Schultern auf diese ihm eigene störrische Art gestrafft, die ihr allmählich vertraut war.
Der Gedanke ließ sie leicht zusammenfahren. Wie merkwürdig es war, seine Eigenheiten allmählich wiederzuerkennen.
„Ist Euer Cousin tot?“, fragte er, als sie vor ihm stehen blieb. Seine Stimme klang leise und mitfühlend.
Sie nickte. Mehr hatte sie nicht eingestehen wollen, doch plötzlich brach das gerade Erfahrene aus ihr heraus: Allistairs Treulosigkeit, Giorsals Hass und die Verschwörung, der Seonaid und ihre Familie ebenso fast zum Opfer gefallen wären wie Sherwell. „Aeldra ist völlig durcheinander“, endete sie.
„Aye.“ Er nickte. „So wie Ihr“, fügte er sanft an.
Zu ihrem Entsetzen spürte sie, dass seine mitfühlenden Worte ihr die Tränen in die Augen trieben. Erfolglos blinzelte sie verzweifelt dagegen an.
„Ach, verdammt“, stieß sie aus und wollte sich abwenden, aber er fasste sie bei den Armen und hielt sie fest.
„Ihr müsst Euch nicht dafür schämen, dass Ihr den Tod geliebter Menschen beweint“, sagte er leise und wollte sie an sich ziehen, aber sie wehrte sich.
„Er wollte meinen Vater, meinen Bruder und sogar Euch umbringen“, presste sie unter Tränen hervor. Sie war in der Tat verstört, denn einerseits betrauerte sie Allistair, war andererseits jedoch froh, dass er gestorben war, ehe er sein Vorhaben hatte umsetzen können. Ja sie war gar erleichtert, dass er tot war, denn so blieb ihr erspart, jemanden hassen zu müssen, der ihr jahrelang wie ein Bruder gewesen war.
„Ich nehme an, Ihr bedauert, dass er zumindest mich nicht gemeuchelt hat. Wenngleich ich bezweifle, dass Ihr dafür Vater und Bruder geopfert hättet.“
Seonaids Widerstand war schwächer geworden, und schließlich hatte sie sich von Sherwell in die Arme schließen lassen. Nun jedoch riss sie sich mit einem entsetzten Keuchen los. „Niemals hätte ich ... “
Sie verstummte, als sie das Blitzen in seinen Augen bemerkte. Er hatte sie aufgezogen.
„Wirklich nicht, Seonaid Dunbar?“ Neugierig betrachtete er sie. „Wollt Ihr mich tatsächlich nicht tot sehen?“
Seonaid schüttelte den Kopf. Sie wollte diesen Mann nicht tot sehen, wollte nicht, dass ihm überhaupt etwas Übles widerfuhr. Sie war sich nicht einmal sicher, ob sie einer Heirat mit ihm immer noch abgeneigt war. Dass sie davongelaufen war, hatte mannigfache Gründe: Angst, Stolz, Zorn ... wobei ihr Stolz wohl der gewichtigste war. Stolz konnte einem Menschen hart zusetzen, und Seonaid besaß nicht eben wenig Stolz. Mit dem Sohn eines Mannes verlobt zu sein, den ihr Vater verabscheute, war schlimm genug gewesen. Aber dass ihr Verlobter sich darüber hinaus so viel Zeit gelassen hatte, sie zu holen, hatte die Schande perfekt gemacht. Ihre vergangenen Jahre waren von innerem Aufruhr geprägt gewesen.
Und das Leben schien künftig nicht weniger Aufregung bereitzuhalten, ging ihr auf, als Sherwell den Kopf neigte.
„Seonaid“, raunte er, und sie spürte seinen Atem auf ihren Lippen. Sie schloss die Augen, nur um sie sogleich wieder aufzuschlagen und beinahe zu schielen in dem Bemühen, seinen Mund im Blick zu behalten.
„Aye?“
„Ich werde Euch jetzt küssen.“
„Oh“, hauchte sie und fühlte sich noch verwirrter. Er würde? sie küssen. Vermutlich sollte sie sich wehren, aber sie hatte nicht die Kraft dazu. Sie wusste nicht einmal, ob sie den Willen aufbringen würde. Seit sie Giorsals Kate verlassen hatte, fühlte sie sich erschöpft und verloren. Nun ließen diese düsteren Empfindungen endlich ein wenig nach, und sie war sicher, dass sie sich noch weiter auflösen würden, wenn er sie küsste. Vielleicht konnte sie sogar alles für eine Weile vergessen, denn nichts wollte sie lieber. Verluste setzten ihr schwer zu, und Al-listairs Tod traf sie gleich doppelt aufgrund der schmerzlichen Umstände, die dazu geführt hatten.
Ihrem Gedankengang wurde ein abruptes Ende gemacht, als Sherwells Mund den ihren berührte. Er war weich, obwohl der Mann selbst doch so unglaublich hart wirkte - sogar seine Lippen konnten einen unnachgiebigen geraden Strich bilden. Aber er fühlte sich samtig an und schmeckte so süß wie süffiger Wein, als er seine Lippen über die ihren gleiten ließ. Seonaids Hoffnung, dass es ihm gelingen werde, sie von ihrem Kummer abzulenken, erfüllte sich sogleich, denn sie nahm nichts mehr wahr außer seinem Mund und seinen Händen, mit denen er ihr über die Arme und schließlich über den Rücken
Weitere Kostenlose Bücher