Das wilde Herz der Highlands
strich. Er fuhr ihr mit der Zunge zwischen die Lippen, und Seonaid stöhnte leise vor Behagen, als er in sie eindrang und sie mit seinem Aroma erfüllte. Er schien all ihre Sinne zu überwältigen; sie hatte seinen Duft - der ihr von den gemeinsamen Ritten vertraut war - in der Nase, seinen Geschmack auf der Zunge, und sie spürte ihn überall dort, wo ihre Leiber sich aneinanderschmiegten.
Zum ersten Mal in ihrem Leben empfand sich Seonaid durch und durch als Frau, ohne dass es sie störte. Sie hatte Frauen bislang stets für verweichlicht und schwach gehalten, aber in Sherwells Armen zu liegen war erregend - sie fühlte sich nicht nur weiblich, sondern auch mächtig. Sie hätte nichts dagegen gehabt, sich ewig von ihm halten zu lassen, und daher konnte sie ein enttäuschtes Stöhnen nicht unterdrücken, als er sich von ihr löste und zurücktrat, um sie zu mustern.
„Die Sache mit Eurem Cousin tut mir leid, aber Allistairs Tod ist nicht Eure Schuld.“
Verständnislos sah sie ihn an. Es dauerte eine Weile, bis ihr Verstand wieder arbeitete. Allistair. Tot. Er hatte ihren Vater und ihren Bruder morden wollen; hatte sie heiraten und Laird werden wollen. Sein Verrat. Sein Tod. Ihre Schuld? Hatte sie sich schuldig gefühlt? Aye, das hatte sie. Sie hatte ja nicht geahnt, dass Allistairs Zuneigung über die Liebe eines Cousins hinausgegangen war. Gewiss, er hatte sie manchmal geneckt und ihr Komplimente gemacht, und Seonaid hatte gespürt, dass da noch etwas gewesen war. Aber ...
Aber sie machte sich selbst etwas vor, erkannte sie. Aye , sie hatte es gewusst. Sie hatte gewusst, dass er mehr für sie empfand, als ein Cousin für seine Cousine empfinden sollte. Seine Beflissenheit hatte ihr geschmeichelt und den Schmerz gemildert, den Sherwell ihr mit seiner Säumigkeit zugefügt hatte. Sie hatte es gewusst und musste sich eingestehen, dass sie seine Zuneigung sogar ein wenig gefördert hatte. Sie hatte sich in seiner Aufmerksamkeit gesonnt, die Balsam für ihren verletzten Stolz gewesen war. Mochte auch Sherwell keinen Gedanken an sie verschwendet haben, so hatte doch zumindest Allistair sie tapfer, klug und schön gefunden. Seonaid hatte für ihn nicht dasselbe empfunden, hatte ihn aber ermutigt und somit auch unwissentlich die verräterischen Absichten gestärkt, die ihn ins Verderben gestürzt und ihren Vater sowie ihren Bruder beinahe das Leben gekostet hätten. Sie schämte sich - und sie war fuchsteufelswild. Nicht nur auf sich selbst war sie wütend, sondern auch auf Sherwell. Wäre er gekommen, als sie sechzehn war, wie die meisten Männer es getan hätten ...
„Seonaid?“ Sherwell betrachtete sie aufmerksam, sein Blick war besorgt. „Woran denkt Ihr?“
Sie presste die Lippen zusammen, damit ihr keiner der Gedanken entschlüpfte, die ihr durch den Sinn schossen. Kopfschüttelnd riss sie sich los. Er versuchte, sie festzuhalten, doch sie hatte keine Lust, sich mit ihm auseinanderzusetzen. Sie wäre nur versucht, ihm lautstark Vorhaltungen zu machen für seine Mitschuld an all dem Ungemach, denn in ihren Augen hatte er dazu beigetragen. Und sie hätte sich eher die Zunge abgebissen und sie geschluckt, als diesen Mann wissen zu lassen, wie weh er ihr damit getan hatte, sie nicht zu holen.
Seonaid wandte sich ab und rannte auf den Wohnturm zu. Sie lief, so schnell sie konnte, verlangte ihren Muskeln alles ab und ließ die Arme kräftig vor- und zurückschwingen. Auf diese Weise versuchte sie ihrem Zorn Luft zu machen, und es half ein wenig, auch wenn es bis zum Wohnturm nicht weit war. Vielleicht lag es an ihrer Erschöpfung, dass so viele Empfindungen sie binnen kurzer Zeit hatten überwältigen können: Schrecken, Angst, Trauer, Wut und das Gefühl, verraten worden zu sein. Und nicht zuletzt Leidenschaft. Nach dem zermürbenden Auf und Ab der vergangenen Tage war dieses Wechselbad der Gefühle nun der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Als sie sich die Treppe zum Portal hinaufschleppte und den Wohnturm betrat, war ihr, als sei sie hundert Jahre alt. Sie hatte einfach nicht die Kraft, um es nun auch noch mit Lord Rolfe aufzunehmen, dessen aufgebrachte Stimme ihr just in die Ohren drang.
9. Kapitel
Was soll das heißen, der Laird ist nicht zu sprechen?
Ist er wohlauf?“
Seonaid schloss das Portal hinter sich und erspähte den Bischof und Lord Rolfe. Der Prälat sah schlicht müde aus, wohingegen Lord Rolfe eher verzweifelt wirkte in dem Bemühen, Willie Antworten zu entlocken. Seonaid
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