Das wilde Herz der Highlands
vermutlich Seonaids Dolch, wie er annahm - in die Rippen. „Versprecht mir, dass Ihr vorsichtig seid“, zischte sie.
„Ich verspreche es“, versicherte er hastig.
„Gut.“ Sie entspannte sich ein wenig und strich sich lächelnd übers Haar. „Gute Nacht, Mylord.“
Verblüfft sah Blake der älteren Dame nach, die seelenruhig den Gang entlangschritt, um sich zu den anderen in der Halle zu gesellen. Falls er sich je gefragt hatte, was Lord Wildwood für sie eingenommen hatte - abgesehen von ihrer Schönheit -, so wusste er es jetzt. Obwohl sie Seonaid kaum kannte, führte sie sich auf wie eine Wölfin, die ihr Junges verteidigte. Sie war etwas Besonderes, und doch überlegte er, ob ihr Verhalten nicht auch viel über Seonaid sagte. Lady Wildwood musste etwas in seiner Braut gesehen haben, das sie veranlasst hatte, sich für sie einzusetzen. Das überraschte ihn nicht. Längst war er zu dem Schluss gelangt, dass auch Seonaid etwas Besonderes war.
Er wartete, bis sich der Gang geleert hatte, und wandte sich endlich der Tür zu.
Seonaid starrte die Tür an. Sie hatte ihren Vater lachen und andere murmeln hören. Das war schon eine Weile her, und dennoch blieb die Tür zu. Hatte Blake Sherwell beschlossen, die Ehe gar nicht erst zu vollziehen? Wollte er sie womöglich annullieren lassen? Sie wusste nicht recht, ob diese Aussicht sie erleichterte oder nicht. Eine Annullierung mochte blamabel sein, aber andererseits sah sie den folgenden Augenblicken nicht eben freudig entgegen. Zumindest glaubte sie, dass es sich nur um Augenblicke handelte. Sie hatte kaum Ahnung von diesen Dingen, aber nach Lady Wildwoods Ausführungen und dem zu urteilen, was sie ab und an unfreiwillig beobachtet hatte, nahm sie an, dass das Folgende nicht mehr als ein paar Momente in Anspruch nehmen werde.
Das immerhin war ein Lichtblick, sagte sie sich - es würde nicht lange dauern. Sie sollte die Angelegenheit betrachten wie einen Gang zur Schmiede, um sich einen Zahn ziehen zu lassen. Das hatte sie einmal tun müssen, als ihr durch einen Schlag ins Gesicht ein Backenzahn zertrümmert worden war. Schlimmer als das konnte das Anstehende nicht sein.
Wenn sie nun allerdings auf die Sache mit dem Zahn zurückblickte, musste sie einräumen, dass die Prozedur ganz schön übel gewesen war. Der Schmied hatte sie vorab einen großen Becher uisgebeatha trinken lassen. Das „Wasser des Lebens“ -oder auch Whisky, wie die Engländer es nannten - vermochte Schmerzen zu betäuben, wenngleich es bei ihr nicht so recht gewirkt hatte.
Heute Abend hatte Seonaid nicht einen Tropfen von dem starken Trank genossen. Das hätte sie tun sollen. Was hatte sie sich nur gedacht?
„Verflixt“, murmelte sie und rückte sich auf dem Bett zurecht. Nun, das war nicht mehr zu ändern. Jetzt war es zu spät für einen Schluck oder andersgeartete Maßnahmen. Ihr Leitsatz war stets gewesen, dass man unerquickliche Dinge am besten möglichst rasch hinter sich brachte. Und daher ... daher würde sie dafür sorgen, dass auch dieser unangenehme Vorgang möglichst schnell vorüberging. Sofern ihr Gemahl geruhte, überhaupt aufzutauchen.
Bei dem Gedanken zuckte sie zusammen. Ihr Gemahl? Gütiger Himmel, sie war verheiratet. Sie hatte einen Gemahl. Sie war eine Gemahlin. Aber sie fühlte sich nicht verheiratet, wie immer sich das anfühlen sollte.
Seonaid wurde abrupt aus ihren Grübeleien gerissen, als die Tür plötzlich - endlich - aufging und ihr Gemahl die Kammer betrat.
Seine Braut saß aufrecht im Bett. Blake sah sie sofort, und ihr Anblick ließ ihn auf der Schwelle innehalten. In der kurzen Zeit, da er Seonaid kannte, hatte sie sich als eine Frau voller Überraschungen erwiesen. Die Erinnerung daran, wie er sie das erste Mal erspäht hatte, warf ihn noch immer aus der Bahn: Seonaid in Hosen und Tunika. Nie zuvor hatte er eine Frau in Hosen gesehen, doch allmählich gefiel ihm das Bild. Lange Gewänder schmeichelten einer Dame, keine Frage, aber sie verbargen sie auch von der Taille abwärts. Zwar war auch Seonaids Haut durch die Hosen verhüllt, doch dafür betonten diese eine jede Rundung ihres Körpers. Es behagte ihm, sie in Hosen zu sehen -und mehr noch hatte er genossen, wie sie nackt gekämpft hatte. Heute Nachmittag allerdings war sie in einem Kleid zum Altar geführt - oder vielmehr gezerrt - worden. Ihr Haar, das sie für gewöhnlich schlicht im Nacken zusammenband, war ihr offen über den Rücken gefallen und hatte ihr Gesicht weicher erscheinen
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