Das Winterhaus
in den Griff zu bekommen. Sie würde ins Konzert gehen, und wenn niemand sie begleiten wollte, nun, dann würde sie eben allein gehen. Sie zog ein Kleid an, das sie sich im Frühjahr in Paris gekauft hatte (schwarz und silbern mit einem kleinen Bolero) und machte sich eine neue Frisur und schminkte sich sorgfältig. Als sie im Konzertsaal saß, während das Orchester seine Instrumente stimmte, fühlte sie sich gut. Sie war wieder die alte Maia Merchant, der es gleichgültig war, was die Leute von ihr dachten.
Aber als der Saal sich fast gefüllt hatte, sah sie plötzlich Vernon. Er war auf der anderen Seite und schob sich gerade durch eine der Sitzreihen. Er war im Smoking, und sein Haar war kurz geschnitten, genauso wie er es immer gemocht hatte, und sein Blick flog nach ihr suchend über die Menschenmenge. Als die Lichter sich verdunkelten, verlor sie ihn im Gewirr der Leute, die in letzter Minute zu ihren Plätzen eilten, aus den Augen. Während des ganzen ersten Teils des Konzerts suchte sie nach ihm, sah ihn aber nicht wieder. In der Pause nahm sie ihren Mantel und ging.
Zu Hause holte Maia die Ginflasche aus dem Schrank und suchte, mit Teddy, ihrem Cockerspaniel, auf dem Schoß, Zuflucht im Bett. Sie hörte Hughs Stimme. »Du weißt doch, daß Vernon tot ist, Maia.« Natürlich wußte sie das; sie und sonst niemand hatte ihn sterben sehen. Folglich wurde sie entweder von einem Geist heimgesucht, oder sie war verrückt. Maia, die realistisch bis zum Zynismus war, hatte nie an Gespenster geglaubt. Sie erinnerte sich, gehört zu haben, daß Wahnsinn in der Familie liegen konnte wie Rothaarigkeit oder Linkshändigkeit. Er konnte in verschiedenen Generationen verschiedene Formen annehmen. Selbstmord oder Wahnvorstellungen oder Schwachsinn … Schaudernd füllte Maia ihr Glas und trank. Als der Alkohol ihr etwas von ihrer Angst genommen hatte, ging sie zu ihrem Sekretär und schrieb Hugh einen Brief. Ihre Schrift war nicht so klar wie sonst, aber sie meinte, es würde schon gehen. Dann warf sie einen Mantel über ihren Satin-Pyjama und ging zum Briefkasten hinaus. Es war Mitternacht, und die dunklen, ledrigen Blätter der Lorbeerbüsche raschelten, als sie die Auffahrt hinunterlief.
Hugh kam am folgenden Nachmittag um drei. Sie machten einen Spaziergang und sahen Teddy zu, der im Park die Eichhörnchen jagte, und später tranken sie im Wintergarten Tee. Kurz vor acht fuhr er wieder und ließ Maia mit ihrer Furcht vor der kommenden Woche zurück. Am nächsten Sonntag kam er wieder und am Sonntag darauf auch. Dann war wieder ihr freies Wochenende, und danach geschah das Schreckliche.
Nur ein Brief wartete auf sie, als sie nach Hause kam. Sie arbeitete samstags häufig bis in den späten Abend; es gab immer irgendwelche Zahlen zu überprüfen, Bücher durchzusehen. Maia verließ das Kaufhaus im allgemeinen als letzte. Als sie schließlich gegessen hatte und den Brief vom Tablett nahm, war es zehn Uhr, und sie war allein im Haus.
Sie schenkte sich einen Drink ein und schlitzte den billigen braunen Umschlag auf. Teddy, der spielen wollte, sprang ihr um die Füße. Der Umschlag enthielt nur ein gefaltetes Blatt Papier. Maia ergriff ihr Glas, als sie es auseinanderfaltete.
»Hure!« Das Glas fiel ihr aus der Hand und zersprang auf dem Boden. Das in dicken schwarzen Blockbuchstaben geschriebene Wort starrte ihr ins Gesicht. Sie hörte ihr eigenes Stöhnen.
Sie hätte später nicht sagen können, wie lange sie dort stand. Sie konnte sich nur erinnern, daß sie den Brief in kleine Fetzen zerriß und in den Kamin warf und danach in die Küche lief, um Schaufel und Besen zu holen, und auf dem Boden im Salon herumkroch und die Glasscherben auffegte. Teddy hatte sich in eine Ecke im Flur verkrochen. Sie nahm ihn mit hinauf in ihr Schlafzimmer und trank Gin, bis sie bewußtlos in die Kissen fiel.
Sie erwachte am Sonntagmittag mit quälenden Kopfschmerzen. Das Mädchen brachte ihr schwarzen Kaffee, aber als sie etwas später aufstand und ein Bad nahm, war es immer noch, als schlüge jemand mit einem Hammer auf ihren Kopf ein. Sie zog das erstbeste an, was sie fand – eine alte lange Hose und einen Pulli, den Helen ihr einmal gestrickt hatte. Als es draußen läutete und das Mädchen ihr meldete, daß Mr. Summerhayes da sei, wußte sie nicht, ob sie sich freuen oder sich lieber verstecken sollte. Ein Blick in den Spiegel sagte ihr, daß sie schauderhaft aussah, aber sie hatte keine Zeit, mehr zu tun, als sich hastig mit den
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