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Das Winterhaus

Das Winterhaus

Titel: Das Winterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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jeder Platz besetzt, jede Sitzreihe von einem wichtigtuerischen Schwarzhemd flankiert, der, die Hände in die Hüften gestemmt, seinen Blick lässig und bedrohlich von Platz zu Platz schweifen ließ.
    Im Schutz seines weiten Mantels legte Joe einen Film in seine Kamera ein, als eine Fanfare den Auftritt Sir Oswald Mosleys ankündigte, der in Begleitung vier blonder junger Männer und eines Trupps flaggentragender Schwarzhemden erschien. Als der Zug langsam ins Rampenlicht marschierte, schwoll der Applaus zu einem Donnern des Triumphs an. Rund um Robin erhoben die Leute die Arme zum faschistischen Gruß. Schließlich hob Mosley seinerseits den Arm, und die Menge wurde still. Doch mitten in die Stille hinein platzten aus dem Hintergrund der Halle plötzlich Stimmen, zaghaft zunächst, dann mit wachsender Sicherheit.
    »Hitler und Mosley bedeuten Hunger und Krieg«, skandierten sie. »Hitler und Mosley bedeuten Hunger und Krieg.«
    Ein Scheinwerfer suchte nach den Störenfrieden, um sie aus der Menge herauszugreifen. Ordner drängten sich durch die Reihen, rissen die Protestierenden von ihren Sitzen und schleppten sie mit brutaler Gewalt aus der Halle. Dann begann Sir Oswald Mosley zu sprechen.
    Hinterher erkannte Robin, daß Mosley nicht ein Wort gesagt hatte, das Substanz besaß. Seine Versprechungen waren vage gewesen, seine Beschuldigungen ohne Grundlage und gegen die gerichtet, die die Leute nur allzugern als die Sündenböcke sahen. »Wir werden der Anarchie des Kommunismus mit der geordneten Macht des Faschismus entgegentreten … Der Faschismus verbindet den dynamischen Drang zu Veränderung und Fortschritt mit der Autorität, der Disziplin und der Ordnung, ohne die nichts Großes geleistet werden kann.« Nichtssagende, leere Worte, doch mit solchem Feuer, solcher Leidenschaft hervorgebracht, daß sie eine beinahe hypnotische Kraft besaßen. So abgestoßen Robin war, hin und wieder verstand sie die Faszination, die dieser Mann auf seine Zuhörer ausübte. Eine beinahe erotische Kraft ging von ihm aus, eine Kraft, die primitivere Schichten als den Intellekt ansprach. Dennoch wurde die Rede immer wieder von Zwischenrufen gestört, und die Gewalt, mit der den laut herausgeschrienen Fragen der Gegendemonstranten begegnet wurde, war erschreckend. Wieder suchte der Scheinwerfer und blieb schließlich an einem Mann hängen, der nur wenige Reihen vor ihnen saß. Joe sprang auf; es blitzte einmal kurz, als er sein Foto schoß. Mosley sprach weiter, doch die Zwischenrufe wurden immer lauter. Das Brüllen der Menge übertönte fast seine Worte – etwas über die internationale Hochfinanz und jüdische Banken und die sowjetische Bedrohung. Mehrere Schwarzhemden ergriffen einen Unruhestifter, rissen ihn von seinem Platz, pufften und schlugen ihn, ehe sie ihn aus der Halle hinauswarfen. Das Blitzlicht von Joes Kamera flammte erneut auf, und in diesem Moment begegnete Robins Blick dem eines Ordners, der über ihre Reihe hinweg zu Joe hinsah.
    »Er hat dich gesehen«, zischte sie und zog Joe am Ärmel.
    Joe legte einen neuen Film ein. »Ich geh raus«, sagte er. Robin glaubte, er habe genug gesehen, genug fotografiert. Aber dann sah sie, wohin er wollte, und sie kämpfte sich durch das Gedränge, um ihm zu folgen. Spannung und Gewalt hingen beinahe greifbar in der Luft, so beklemmend, daß es ihr fast den Atem raubte. Mosleys laute, herrische Stimme erhob sich über das Gebrüll der Menge und die lauten Rufe der Oppositionellen, die die Versammlung zu stören suchten. Fahnen und schwarzuniformierte Ordner schienen allgegenwärtig zu sein. Sich an Joes Mantel festhaltend, drängte sich Robin aus der Halle. Als sie zurückblickte, sah sie, daß der Ordner, der auf die Kamera aufmerksam geworden war, irgendwo im Getümmel untergegangen war.
    Im Korridor hinter der Halle traten sechs Männer einen Gegendemonstranten, der hilflos auf dem Boden lag, mit Füßen. Robin wurde übel, als sie zusah, wie die schweren schwarzen Stiefel gegen seinen Kopf und in sein Gesicht schlugen. Flach an die Wand gedrückt, im Schatten verborgen, sah sie wieder Joes Kamera aufblitzen und dann noch einmal, nachdem er in aller Eile eine neue Platte eingelegt und die belichtete in seine Manteltasche geschoben hatte. Der Mann auf dem Boden rührte sich nicht mehr. Robin wollte zu ihm hinlaufen, um ihm zu helfen, aber sie konnte nicht; sie war gelähmt vor Angst. Keiner Bewegung fähig, voll Abscheu gegen sich selbst, weil sie nichts tat, sah sie Joe eine

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