Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Winterhaus

Das Winterhaus

Titel: Das Winterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
Vom Netzwerk:
Bett und eine Kommode – kein Kamin, kein Teppich, keine Bilder bis auf eine kleine gerahmte Fotografie. Robin nahm das Bild zur Hand und betrachtete es. Eine Frau mit hochaufgetürmtem dunklem Haar, wie es um die Jahrhundertwende Mode gewesen war, und dunklen, tiefliegenden Augen. Ihre Züge waren zart und vornehm. Sie nahm den Scotch und das Foto mit ins andere Zimmer.
    »Deine Mutter?« fragte sie Joe.
    Er blickte auf und nickte. Robin goß zwei Fingerbreit Whisky in einen Becher und gab ihn ihm. Er kippte den Whisky schnell hinunter.
    »Ich fahre irgendwann dieses Jahr nach München, Robin, um meine Tante zu suchen. Sobald ich das Geld beisammenhabe – sobald ich eine neue Kamera habe.«
    »Joe! Nach München ! Sprichst du denn deutsch?«
    »Kein Wort. Du?«
    »Hm. Mein Vater hat es mir beigebracht. Vielleicht sollte ich …« Aber sie dachte an Francis und schwieg.
    Joe warf ihr einen scharfen Blick zu. »Verdammt – das hab ich ganz vergessen. Meine Fotos –«
    Robin holte seinen Mantel, den sie draußen liegengelassen hatte, und klopfte auf die Tasche mit den belichteten Platten.
    »Sicher und unversehrt.«
    »Danke.« Sie hörte, wie Joe aufatmete. »Ich wußte, daß ich auf dich zählen kann, Robin.« Er beugte sich vor und stützte den Kopf in die Hände.
    »Du solltest jetzt zu Bett gehen.« Sie sah sich im Zimmer um. »Ich schlafe in einem Sessel.« Es war fast eins, zu spät, um in die Pension zurückzukehren.
    »Nein, das Bett nimmst du.«
    »Na hör mal – sei nicht albern, Joe. Du kannst doch kaum noch auf den Beinen stehen.«
    »Dann legen wir uns eben zusammen ins Bett«, sagte er. »Mensch, Robin –«
    Einen Moment lang sahen sie einander zornig an, alte Feinde. Dann lachte sie und folgte ihm ins Schlafzimmer.
    Sie lieh sich eines seiner Hemden und rollte sich auf der linken Seite des schmalen Betts zusammen. Sie hatte geglaubt, sie würde sofort einschlafen, aber so war es nicht. Das weiße Licht des Vollmonds und der gelbe Schein der Straßenlaterne vor dem Fenster erhellten das Schlafzimmer und das anschließende Wohnzimmer. Der Gedanke ging ihr durch den Kopf, daß die Wohnung in ihrer Leere etwas Provisorisches hatte, als wäre sie für Joe nur eine Durchgangsstation, die ihm Unterschlupf bot, bevor er weiterzog. Ihre Gedanken wanderten weiter zu Francis. In letzter Zeit spürte sie bei ihm eine zunehmende Rastlosigkeit, und auf den Festen, die sie zusammen besuchten, erlebte sie ihn jetzt manchmal als jemanden, dem es wichtiger war, umschmeichelt als geschätzt zu werden. Es war nichts, was sie klar definieren konnte, und doch überkamen sie, während sie schlaflos in der Dunkelheit lag, Traurigkeit und Beunruhigung.
    Für Maia wurde ihre Isolation immer bedrängender. Aus allen Räumen des Hauses schien ihr der Widerhall des Schweigens entgegenzuschallen, und manchmal, wenn sie sich unversehens in einem Spiegel sah, fuhr sie zusammen, erschrocken durch die Bewegung. Jeden Abend blieb sie länger in ihrem Büro, schob den Moment hinaus, da sie den Ort verlassen mußte, wo sie jemand war, um in das Haus zurückzukehren, in dem sie nichts war. Die Abende waren am schlimmsten. Sie pflegte alle Lichter einzuschalten, aber das laute Klappern ihrer Absätze in dem leeren Haus verfolgte sie überall, und immer knackte oder raschelte es irgendwo. Und dann die Alpträume, wenn Vernon sie heimsuchte, wie er sie im Leben heimgesucht hatte. Jeden Abend graute ihr vor dem Einschlafen, sie konnte die Augen nur zumachen, wenn Alkohol ihre Furcht gedämpft hatte. Ihre Nächte waren unterbrochen von ihren verzweifelten Kämpfen, sich aus dem Schlaf zu reißen, um ihm zu entkommen. Infolge des Schlafmangels und des Alkoholgenusses bewegte sie sich wie hinter einem Schleier der Unwirklichkeit durch jeden Tag. Die Zahlen verschwammen vor ihren Augen, wenn sie die Abrechnungsbücher durchsah; sie vergaß die Namen von Menschen, die sie seit Jahren kannte. Einmal, als sie an ihrem freien Wochenende unterwegs war, verfuhr sie sich in dem vertrauten Gewirr schmaler Landstraßen, in dessen Herz ihr geheimes Ziel lag. Ein anderes Mal stolperte sie beim Hinuntergehen auf der Treppe und wäre gestürzt, hätte sie sich nicht gerade noch rechtzeitig am Geländer festgehalten. Auf der Stufe sitzen bleibend, blickte sie die breite, geschwungene Treppenflucht hinunter, die steil unter ihr abfiel, und begann zu lachen bei der Erkenntnis, daß er beinahe seine Rache bekommen hätte.
    Mit aller Kraft versuchte sie, sich

Weitere Kostenlose Bücher