Das Winterhaus
allein nach Hause fahren würde. Die ersten Pärchen gingen bereits. Es war – blinzelnd, bemüht, sich zu konzentrieren, sah Francis auf eine Uhr – fast vier Uhr morgens. Doch die Musik spielte noch, und Theo wanderte immer noch durch das Haus, füllte Gläser auf, fachte Gespräche an, provozierte, wenn seine Gäste langweilig oder schläfrig wurden. Francis paßte das, er wollte nicht allein sein, er wollte nicht nachdenken.
Er war im Speisezimmer auf der Suche nach einer frischen Flasche Whisky, als er den Schuß hörte. Als er hinauslief, fand er Theo und ein halbes Dutzend anderer am Fuß der Treppe. Einer der Burschen hatte eine Pistole in der Hand und hielt sie schräg aufwärts gerichtet, auf das große Porträt über dem Treppenabsatz. »Meine Großmutter«, sagte Theo. »Gräßliche alte Hexe.« Der Schütze drückte ab, zwei Schüsse krachten, und alle blickten nach oben. Zwei kleine Löcher klafften in der Wand neben dem Porträt.
»Jetzt bin ich dran«, sagte Bertie Forbes, zielte und feuerte.
»Du hast ihren Hut getroffen, Bertie«, sagte ein Mädchen. »Nicht gerade tödlich.« Ein paar Leute lachten.
»Francis?« sagte Theo und reichte ihm die Pistole.
Er war immer ein guter Schütze gewesen. Es war eines seiner diversen nutzlosen Talente. Obwohl er den Offiziersausbildungskurs, an dem er während der Schulzeit hatte teilnehmen müssen, verabscheut hatte, hatte er dennoch, wenn er sich darauf eingelassen hatte, jedes Wettschießen gewonnen. Auch eine der kleinen Ironien des Schicksals, hatte er immer gedacht.
Francis zielte sorgfältig und achtete darauf, daß seine Hand nicht zitterte. Die Kugel durchschlug die Stirn der abgebildeten Großmutter genau zwischen den Augen. Ein oder zwei Leute applaudierten.
»Das schlimme bei so widerlich brillanten Leuten«, bemerkte Theo lässig, »ist, daß sie auf alle anderen so niederschmetternd wirken. Ich meine« – mit einer Geste zu dem Porträt –, »wozu jetzt noch weitermachen?«
Francis lächelte. »Es gibt noch andere Spiele«, sagte er, drehte die Pistole in seiner Hand und drückte ihre Mündung an seine Stirn. Ein Mädchen schrie laut, als er abdrückte.
Robin ging den Schüssen nach. Als sie die Eingangshalle erreichte, war der erste, den sie sah, Francis. Er lächelte und hielt sich eine Pistole an den Kopf. Robin hörte ihren eigenen unterdrückten Entsetzensschrei, und dann drückte er schon ab.
Nur ein dünnes metallisches Klicken. Ihr zitterten die Knie, und sie mußte sich an die Wand lehnen. Als sie die Augen öffnete, bemerkte sie, daß Francis sie gesehen hatte. Sie drehte sich herum und rannte zur Haustür, riß sie auf und jagte die Treppe hinunter. Der offene MG stand am Bordstein. Fast in den Wagen fallend, drückte sie auf den Anlasser, und der Motor sprang an. Als sie dabei war, die Handbremse zu lösen, hörte sie jemanden ihren Namen rufen.
»Robin!«
»Geh weg! Geh weg, Francis!« In diesem Moment haßte sie ihn.
»Herrgott noch mal –« Er beugte sich über die Tür und packte sie am Arm, als es ihr gerade gelungen war, die Handbremse loszumachen. Sie hatte den Fuß schon auf dem Gaspedal, und ihre Hand, die das Lenkrad umfaßt hielt, wurde durch den Druck seines Körpers scharf nach rechts gestoßen. Der MG sprang vorwärts, und seine Stoßstange rammte knirschend den hinteren Kotflügel des Rolls-Royce, der vor ihm geparkt war. Der Motor stotterte und ging dann aus.
»Jetzt schau, was du angestellt hast!« Ich kreische wie ein Fischweib, dachte sie. »Schau hin, was du angestellt hast, verdammt noch mal!« Sie kniete sich auf den Sitz, packte die Ärmel seiner Jacke und versuchte ihn wegzustoßen.
»Hau ab, Francis – geh weg – laß mich in Ruhe –« Sie schlug ihm mit beiden Fäusten auf die Brust.
Verschwommen nahm sie wahr, daß sie Zuschauer hatten. Eine kleine Gruppe Gaffer hatte sich auf der Treppe vor Theos Haus versammelt; und in den Nachbarhäusern wurden Vorhänge aufgezogen und Lichter angemacht.
Sie hörte Bertie sagen: »Guter Gott, mein armes Auto –«, dann schaffte sie es, den Motor wieder in Gang zu bringen. Francis war zurückgefallen. Robin legte krachend den Rückwärtsgang ein und raste mit abgerissener Stoßstange und zertrümmertem Scheinwerfer davon.
Sie hielt erst an, als sie die Straße erreichte, in der Joe wohnte. Dort hielt sie am Bordstein an und blieb ein paar Minuten lang zitternd am Steuer sitzen. Als sie sich beruhigt hatte, kritzelte sie ein paar Worte auf einen
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