Das Winterhaus
Zettel, faltete ihn und schrieb Joes Namen drauf. Tränen verschmierten die geschriebenen Worte. Dann fuhr sie zu dem Mietshaus, in dem Joe wohnte, und steckte den Zettel in den Briefkasten.
»Joe – ich komme mit nach Deutschland. Keine Widerrede, du brauchst eine Dolmetscherin. Robin.«
Drei Wochen später reisten sie ab. Die Arbeit als Forschungsassistentin, die Robin für einen Universitätsdozenten, einen Freund ihres Vaters, übernommen hatte, war abgeschlossen, ohne sie im geringsten befriedigt zu haben. Sie hatte einige Arbeitsangebote bekommen, war aber bisher keinem von ihnen nachgegangen. Sie brauchte eine Veränderung, dachte sie. Einen Tapetenwechsel. Sie mußte einmal weg aus diesem selbstgefälligen und sicheren kleinen England.
Sie mußte auch eine Weile weg von Francis, um nachzudenken. Auf der langen Bahnfahrt durch Europa starrte sie, ohne etwas zu sehen, zum Fenster hinaus auf die endlose Folge von Feldern und Dörfern und dachte über Francis nach. Immer wenn sie die Augen schloß und zu schlafen versuchte, erinnerte sie sich des dünnen metallischen Klickens, als er abgedrückt hatte. Und wenn sie zu den Feldern hinausblickte und Erntebilder wie aus Brueghels Zeiten sah – die Sensen, die die Halme durchschnitten, die gebundenen goldenen Garben –, wußte sie, daß Francis unrecht hatte, daß diese Dinge sich niemals ändern würden.
Nachdem sie am Spätnachmittag in München eingetroffen waren, begaben sie sich zu der Adresse, die Niklaus Wenzel ihnen gegeben hatte. »Käthe und Rolf Lehmann sind gute Freunde von mir. Sie können ihnen vertrauen«, hatte Herr Wenzel gesagt. Bei der Erinnerung an diesen letzten Satz überkam Robin, die in einer Trambahn durch Münchens breite Straßen fuhr, ein Unbehagen.
Doch Käthe Lehmann empfing sie mit großer Herzlichkeit und führte sie in einen großen Salon in einer schönen Wohnung. Sie war eine große, grobknochige Frau mit kurzgeschnittenem Haar, das schon grau zu werden begann. Sie schüttelte Robin die Hand und küßte sie auf die Wange.
»Fräulein Summerhayes – es freut mich, Sie kennenzulernen. Und Herr Elliot.« Käthe Lehmann begrüßte Joe auf englisch. »Sie sind sicher beide sehr müde. Nach dieser langen Reise.«
Das Dienstmädchen, Lotte, eine gleichgültige junge Frau mit blondem Haar, das sie in einer Gretchenfrisur trug, nahm ihnen die Mäntel ab. Käthe Lehmanns Söhne, Dieter und Karl, wurden ihnen vorgestellt. Ihr Mann, erklärte Käthe Lehmann, sei noch im Krankenhaus und werde erst spätabends nach Hause kommen.
Sie aßen um sieben, nachdem die Jungen zu Bett gebracht waren. Das Essen war gut, das Gespräch oberflächlich und belanglos. Immer wenn Robin ein Thema anzusprechen versuchte, das sie interessanter fand als das Wetter oder die verschiedenen Methoden, Kohl zuzubereiten, lenkte Käthe das Gespräch höflich, aber bestimmt wieder in langweilige, triviale Bahnen. Robin verlor bald die Lust, sich an der Unterhaltung zu beteiligen, und überließ es Joe, Konversation zu machen.
Nach dem Kaffee sagte Käthe zu dem Mädchen: »Sie können jetzt gehen, wenn Sie wollen, Lotte. Ich weiß, daß Ihre Mutter Sie erwartet.«
Lotte ging hinaus. Sie hörten, wie sie sich draußen im Flur fertigmachte, dann fiel die Wohnungstür zu, und der Klang ihrer Schritte verhallte im Treppenhaus. Mit einem Seufzer ließ Käthe sich auf ihren Stuhl zurücksinken.
»Sie haben nicht zufällig eine Zigarette, Herr Elliot? Eine englische Zigarette?« Joe zog eine Packung heraus und bot ihr eine an.
»Ich wage es nicht, vor Lotte zu rauchen.« Käthe stieß eine Rauchwolke aus und sah Robin an. »Denken Sie daran, Fräulein Summerhayes, wenn Sie in München unterwegs sind, daß es sich für eine junge Frau nicht gehört, in der Öffentlichkeit zu rauchen – oder sich zu schminken. Ich habe erlebt, wie ein junges Mädchen in der Trambahn angegriffen wurde, weil sie geschminkt war. Also – wären Sie so nett, mir jetzt beim Abdecken zu helfen, Fräulein Summerhayes? Das ist, hoffe ich, kein zu hoher Preis dafür, daß wir jetzt ungehindert sprechen können.«
Robin folgte ihr in die Küche.
»Können Sie denn vor Lotte nicht offen reden?«
Käthe Lehmann, die dabei war, das schmutzige Geschirr im Spülstein zu stapeln, schüttelte den Kopf. Trockenen Tons sagte sie: »Lotte ist eine große Nummer beim BdM – dem Bund deutscher Mädchen. Neben ihrem strammen ›Heil Hitler!‹ kann ich mit meinem verlegenen Gemurmel mich nur
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