Das Winterhaus
–«
»Meine Schwester würde mir sagen, ich soll gefälligst Leine ziehen und ihr ihren Spaß lassen. Sie hat ein Gesicht wie ein Mops.«
Schallendes Gelächter. Leo sagte quengelnd: »Ach, hör schon auf, Bertie, du weißt genau, was ich meine. Du müßtest den Kerl umbringen, oder nicht?«
»Er hat recht, auch wenn's mir schwerfällt, das zuzugeben. Da hört der Pazifismus auf.«
»Siehst du«, sagte Leo und bohrte dem anderen Mann den Zeigefinger in die Brust. »Wenn so ein dreckiger Ausländer hinter deiner Schwester her wäre –«
»Hat Ihre Schwester da eigentlich auch ein Wörtchen mitzureden?«
Francis, der an einer Kommode lehnte und sich gerade eine Zigarette anzündete, sah Robin an. Auch die jungen Männer sahen sie an. Francis wußte, daß Robin wütend war.
»Sie reden, als wären Frauen unfähig, auf sich selbst aufzupassen. Als könnten wir nicht einmal selbständig denken.«
»Na hör mal, Herzchen.« Berties glasiger Blick glitt flüchtig über Robin hin. »Die Emanzipation hat ihre Grenzen. Wenn es einen Krieg gibt und unser Land besetzt wird, hieße es, jeder Mann für sich selbst. Die Starken würden siegen, und die Schwachen würden niedergetrampelt werden.«
»Das ist ja wohl kaum eine Basis für eine zivilisierte Gesellschaft?«
Leo wedelte mit dem Finger vor ihrer Nase herum und nuschelte wieder: »Wenn er hinter deiner Schwester her wäre …« Dann rutschte er langsam an der Wand entlang abwärts und blieb besinnungslos auf den Küchenfliesen liegen.
»Der hat noch nie viel vertragen.« Bertie und sein Freund schleiften Leo aus der Küche hinaus.
»Diese Esel«, bemerkte Francis milde, als sie weg waren. »Aber so ganz unrecht haben sie nicht.«
Robin drehte sich um und starrte ihn an.
»Was zum Teufel soll das heißen?«
Er zuckte die Achseln. »Die meisten von Theos verwunderten kleinen Studentlein glauben den Quatsch, den sie in der Times lesen. Daß Adolf Hitler ein unbedeutender kleiner Unterschichtausländer ist, der für das großartige britische Empire niemals zu einer Bedrohung werden könnte. Die Burschen scheinen wenigstens ein bißchen was von dem, was los ist, begriffen zu haben.«
»Aber sie liegen völlig falsch.« Ihre Stimme war heftig. »Völlig falsch. Es gibt keinen zweiten Krieg.« Ihr Gesicht war sehr weiß geworden.
»Aber natürlich wird es einen geben«, widersprach er.
»Wie kannst du das sagen, Francis –«
»Mensch, Robin, du weißt doch, daß es wahr ist.«
»Tausende von Menschen sind heute Pazifisten. Tausende.«
Sie hatte die Teedose weggestellt. Der Kessel pfiff unbeachtet. »Wie kannst du das mit so einer Lässigkeit –«
»Ich bin nicht lässig. Nur realistisch.«
»Ach, und ich bin das wohl nicht?«
Er antwortete ihr nicht direkt. Statt dessen sagte er das, was er seit geraumer Zeit als die Wahrheit erkannt hatte.
»Es wird einen neuen Krieg geben, Robin. Und dieses Mal wird er uns alle mitreißen. Dich, mich, jeden. Nicht nur die jungen Männer wie das letztemal. Uns alle.«
»Und all die Arbeit, die ich tue … Die Anträge und Petitionen –«
»Werden nicht den geringsten Unterschied machen«, unterbrach er sie. »Deutschland ist aus dem Völkerbund ausgetreten. Das verheißt nichts Gutes, meinst du nicht auch? Wenn die Menschen einen Krieg wollen, können alle Gespräche und Konferenzen der Welt ihn nicht verhindern.«
Einen Moment lang sah sie ihn wortlos an, dann ging sie mit raschem Schritt hinaus. Er wußte, daß er sie verstimmt hatte, daß er ihr nachgehen sollte, aber er wußte auch, daß er recht hatte. Er hatte die Wahrheit gesprochen, weil er betrunken war, gewiß, aber er glaubte jedes Wort, das er gesagt hatte. Er hätte es vielleicht weniger brutal ausdrücken können, aber das war auch alles.
Auf dem Küchentisch stand eine Flasche Scotch. Francis öffnete sie und trank. Dann streifte er durch das Haus, um sich abzulenken. Er sah Evelyn und Robin und mied sie beide. Er konnte Evelyn nicht ohne ein bedrängendes Gefühl ansehen, das eine komplexe Mischung aus Scham und Begehren war; und er wußte, während er Robin beobachtete, die allein in einer Ecke des Salons stand, daß er sie nicht hätte hierherbringen sollen. Jene Seite von ihm, die sich in Robins Gesellschaft ruhig und glücklich fühlte, war nicht die, die Theo Harcourt schätzte. Aber gerade jetzt brauchte er mehr denn je Theos Geld und Theos Verbindungen. Mit schlechtem Gewissen dachte sich Francis, daß Robin sicher bald ein Taxi rufen und
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