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Das Winterkind

Das Winterkind

Titel: Das Winterkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Rohn
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wahrscheinlich nicht übermorgen. Die Aasgeier von den Banken müssen sich noch eine Weile gedulden und der alte Grashoff auch.«
    Ochs verzog traurig das Gesicht. »Chef«, sagte er zögernd, »was haben Sie in dieser Einöde zu suchen?«
    Einöde, dachte ich, ist genau das richtige Wort, und trotzdem ist es völlig falsch.
    Ochs behielt seinen bekümmerten Gesichtsausdruck bei und wartete auf eine Antwort. Wir standen so da, wie Schauspieler, die ihr Stichwort vergessen hatten und auf Hilfe vom anderen warteten.
    »Sie haben Recht«, sagte ich schließlich. Licht hatte sich wieder beruhigt. Die Katze war hoffentlich für den Rest des Tages verschwunden oder würde ein paar frierende Mäuse finden, um ihren Hunger zu stillen. »Wir sollten fahren, eine Spazierfahrt machen.«
    Ich sah, dass Ochs das Wort »Spazierfahrt« nicht gefiel. Trotz seiner Freundlichkeit und Langmut hauste auch eine große Portion Argwohn in ihm. Etwas konnte immer schief gehen, bei jeder kleinsten Fahrt. Ein Keilriemen konnte reißen, ein Reifen platzen, die Lichtmaschine den Geist aufgeben, oder sein Chef würde doch nicht das tun, was er eigentlich tun sollte.
    Ich zog mir meinen Mantel über, den die Tage am See schon recht in Mitleidenschaft gezogen hatten, bedachte Licht mit ein paar freundlichen Abschiedsworten, und wir starteten.
    Ochs entledigte sich seines dünnen Regenmantels, er hatte sich nicht erlaubt, auch nur die kleinste Regung zu zeigen, dass er fror, und klemmte sich hinter das Steuer unserer wuchtigen, grauen Mercedes-Limousine. Ich setzte mich auf den Beifahrersitz, was Ochs ein wenig irritierte. Ich tröstete ihn mit einem Lächeln. Allzu lange würden wir nicht unterwegs sein.
    Ich dirigierte Ochs durch das Dorf, vorbei an der Hotelpension, wo man gewiss ein gemütliches Zimmer für ihn haben würde, vorbei an der Kirche und dem erleuchteten Weihnachtsbaum. Von Hedda war nichts zu sehen, aber das hatte ich auch nicht erwartet. Wir bogen auf die Bundesstraße ab. Hier zumindest lag kein Schnee mehr, und das Fahren würde einfacher sein. Als Ochs das Richtungsschild zur Autobahn entdeckte, hellte sich seine Miene für einen kurzen Moment auf. Doch ganz traute er dem Frieden nicht. Er kannte mich seit fast neun Jahren und wusste, dass ich nicht so einfach zu überzeugen war.
    »Ochs, wir müssen noch ein paar Dinge einkaufen, bevor ich mich wieder unter ordentliche Menschen begeben kann«, erklärte ich ihm, nachdem ich ihm angedeutet hatte, die Abfahrt zur Autobahn rechts liegen zu lassen und zur Kreisstadt weiterzufahren.
    Er nickte, ohne ein Wort zu entgegnen, aber sein Misstrauen schwand nicht.
    Mein Privatkonto war von den Turbulenzen um die Firma noch vollkommen unberührt geblieben. Selbst Ira hatte sich hier nicht bedient. Also musste ich mir für unsere kleine Einkaufstour keinerlei Zwänge auferlegen. Ich leistete mir zwei teuere Anzüge, drei rustikale schwarze Jeans, eine gleichfalls schwarze, gut gefütterte Lederjacke sowie Unterwäsche und ein paar neue Hemden und Pullover.Ich war ein echter Hauptgewinn für die Besitzerin des Ladens, eine schon ältere, mächtig aufgetakelte Frau, die Ochs und mir unentwegt Kaffee anbot und uns wahrscheinlich auch Trüffeln und Kaviar hätte kommen lassen, wenn wir danach verlangt hätten.
    Ochs mimte den perfekten Chauffeur. Kein Wort der Klage oder der Ermahnung gelangte über seine Lippen, während er beobachtete, wie ich Hosen und Jacken anprobierte. Mir gefiel es, mit ihm zusammen zu sein. Er gab mir ein Stück meiner alten Sicherheit zurück, als wäre ich noch der erfolgreiche Geschäftsmann, der sich alle Dinge der Welt leisten konnte, wenn er nur wollte. Es war beinahe ein Spiel. Mit stoischer Miene brachte Ochs die Kleidung, die ich mir ausgesucht hatte, zum Wagen und kehrte unverzüglich wieder zurück. In der Zeit, die er dafür benötigte, hätte er nicht einmal ein kurzes Gespräch mit Ira führen können, um unsere Verspätung zu erklären.
    Ochs hatte sich so in seiner Langmut verschanzt, dass es ihn auch nicht überraschte, als ich mir, nachdem wir gemeinsam meine letzten Hemden im Mercedes verstaut hatten, noch ein mobiles Telefon zulegte und mir anschließend bei einem Friseur eine gründliche Rasur gönnte. Im Gegenteil, beides wertete er als Anzeichen, dass es mit unserer Rückfahrt doch noch klappen könnte. Erst als ich ihn um einen Ratschlag bat, wie ich es früher manchmal getan hatte, zog er irritiert seine Augenbrauen zusammen und musterte mich

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