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Das Winterkind

Das Winterkind

Titel: Das Winterkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Rohn
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mit seinen blauen wässrigen Augen.
    »Ich brauche ein Geschenk, Ochs«, sagte ich und lächelte nachdenklich. »Für eine Dame.«
    Mein Chauffeur leckte sich über die Lippen. Er beschloss, sich ein wenig dumm zu stellen. »Für Ihre Frau, nehme ich an. Ein Versöhnungsgeschenk.«
    Wir standen unter einem eisigen kristallklaren Himmel mitten in einer aufgeräumten Fußgängerzone. Einige wenige Passanten schritten um uns herum und betrachteten uns, als wären wir Wundertiere aus einem Wunderzoo. Jemanden wie Ochs mit seiner Chauffeursuniform hatte man hier noch nie leibhaftig gesehen.
    Ich begann zu lachen. Im nächsten Moment fiel mir auf, dass ich mich bei Ochs mit keiner Silbe nach Ira erkundigt hatte, als wäre sie längst eine Fremde, irgendein Name, nicht mehr.
    »Nein, Ochs, nicht für Ira«, erwiderte ich ernst. »Ich suche etwas Unverfängliches, etwas, das man zu einem ersten Abendessen mitbringen kann.«
    Ochs zog seine Augenbrauen noch heftiger zusammen. Mein Ansinnen fand nicht seine Zustimmung, doch er wagte keinen Widerspruch. Ich wusste nicht viel über ihn, er hatte mir auch nie verraten, wie er an die jungen Frauen kam, mit denen er mir manche einsame Abende versüßt hatte.
    »Sie haben gewiss nicht an ein teures Parfüm oder an Blumen gedacht«, sagte er dann. »Sie suchen ein einfaches, dezentes Geschenk, nichts, das in die üblichen Kategorien fällt. Darf ich fragen, für wen das Geschenk gedacht ist?« Einen Funken Neugier musste er sich doch gestatten.
    »Für die Pastorin des Dorfes. Ich bin heute Abend mit ihr verabredet, daher müssen wir auch unsere Abreise verschieben.«
    Meine Offenheit beantwortete Ochs mit einem sanften Lächeln, das sein ganzes Gesicht vereinnahmte. »Dann würde ich zu einem kultivierten Geschenk raten. Ein Füllfederhalter, vielleicht.«
    »Ein Federhalter, großartig!« Ohne Regung ließ Ochsmeine zweite Umarmung an diesem Tag über sich ergehen.
    Selbst in diesem langweiligen Städtchen gelang es mir, einen Laden zu finden, in dem ich einen silberfarbenen Füllfederhalter erwerben konnte, der elegant und kostbar aussah, aber nicht so teuer war, dass er Hedda beschämt hätte. Mein Einkaufsbummel hatte sich offensichtlich bereits herumgesprochen. Der Verkäufer redete mich mit meinem Namen an und empfing mich wie einen König aus dem Morgenland. Ich brauchte einige Zeit, um mich für einen Federhalter zu entscheiden, was Ochs aber mit stoischer Gelassenheit über sich ergehen ließ.
    In einem anderen Geschäft kaufte ich noch ein großes Segeltuch, das ich über Lichts Gehege spannen wollte, um ihn tagsüber vor der Katze zu schützen, dann aßen wir in einem italienischen Lokal noch eine Kleinigkeit, bevor wir zum See zurückfuhren. Ich erfuhr, dass in der Fabrik die Dinge so weitergegangen waren, als hätte ich noch die Verantwortung inne, nur in meinem Büro hatte sich ein schlecht gelaunter Insolvenzverwalter breit gemacht, der meine beiden Sekretärinnen mit immer neuen Wünschen nach Kaffee und Zigaretten traktierte.
    Im Wagen machte Ochs wieder ein bekümmertes Gesicht, als hätte er nun endlich begriffen, dass er seinen Auftrag nicht mehr würde ausführen können.
    »Ochs«, sagte ich, um ihn ein wenig aufzuheitern, »wir werden Sie für eine Nacht in der Hotelpension unterbringen. Morgen können wir dann in aller Ruhe über unsere weiteren Pläne sprechen.«
    Mein Chauffeur blickte starr vor sich auf die Straße. Ich war mir für einen Moment nicht sicher, ob er mich gehört hatte. Dann verriet er sich durch ein heftiges Zwinkern.
    »Wir werden anrufen und Bescheid geben, Ochs«, erklärte ich tröstend. »Niemand wird Ihnen den Kopf abreißen.«
    Ochs nickte zögernd. Eigentlich war er stets auf alles vorbereitet. So hatte er auf jeder Fahrt eine Reisetasche mit Ersatzkleidung dabei. »Chef«, sagte er, »ich habe Ihnen nicht gesagt, warum Ihre Frau nicht selbst gekommen ist, sondern mich allein geschickt hat.«
    Ich blickte aus dem Fenster. Weite, schneebedeckte Wiesen zogen sich bis zum See hin, gelegentlich nur unterbrochen von Reihen hoher, kahler Bäume, die im Herbst als eine Art Windbrecher fungieren sollten. Unwirklich sahen die mächtigen Bäume unter dem blauen Himmel aus, als wären sie bleiche Geisterwesen, die es nicht mehr rechtzeitig geschafft hatten, sich ganz in die Erde zurückzuziehen.
    Ochs warf mir einen unsicheren Blick zu. »Ich habe Ihnen nicht gesagt, dass Ihre Frau die Bilder und Möbel aus Ihrem Haus verkauft. Sie hat

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