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Das Winterkind

Das Winterkind

Titel: Das Winterkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Rohn
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griesgrämiges Gesicht. Und wenn du noch einmal auf meinen Grundstück herumschleichst, ohne mich um Erlaubnis zu fragen, dann werde ich …« Eine richtige Drohung musste ich mir nicht mehr einfallen lassen, weil im nächsten Moment Hedda zurückkehrte. Sie hielt eine Schüssel mit dem überbacke-nen Lachs in den Händen. Ihr Gesicht glänzte vor Hitze. Ihr erster besorgter Blick galt nicht mir, sondern ihrem Sohn. Es schien sie einigermaßen zu beruhigen, dass er wenigstens noch auf seinem Stuhl saß und den Raum nicht fluchtartig verlassen hatte.
    Der Fisch schmeckte köstlich, und Hedda und ich begannen zu reden, nicht so, als wenn wir allein gewesenwären, aber es gelang uns immerhin, ein unverfängliches Gespräch zu führen. Sie wurde mir wieder ein wenig vertrauter, als sie von ihren Weihnachtsvorbereitungen in der Gemeinde berichtete. Ich erzählte, dass ich den Tankwart beschuldigt hatte, auf Licht geschossen zu haben. Auch diese Geschichte, die Hedda nicht wirklich überraschte, weil sie Holty längst selbst in Verdacht gehabt hatte, ließ den Jungen nicht aufhorchen. Ohne jede Regung stocherte er in seinem Essen herum. Er sah angestrengt aus, als würde er über ein schweres Problem nachsinnen oder als wäre er gar nicht anwesend, vielleicht weil er in seinen Gedanken mit seinem Vater im See schwamm oder mit ihm an einem Lagerfeuer saß. Auch Ira hatte manchmal diesen angestrengten und zugleich abwesenden Ausdruck auf dem Gesicht gehabt. Sie hatte dann eine Zeitreise gemacht, war mindestens ein Universum weit entfernt in einer helleren, schöneren Welt gewesen, in der unser Sohn noch lebte und es mich nicht gab.
    Ich begann mich trotzdem zu entspannen. Vielleicht würde Hedda ihren schweigsamen Sohn gleich ins Bett schicken, sie würde endlich mein Geschenk auspacken, und wir könnten doch noch um den See fahren, wie ich es mir vorgenommen hatte. Ein flüchtiger Blick in das Gesicht des Jungen sagte mir, dass auch diese Hoffnung vergebens war. Ein winziges rotes Rinnsal schlängelte sich aus seinem rechten Nasenloch. Es sah wie ein billiger Trick aus. Konnte ein elfjähriger Junge seine Nase auf Kommando bluten lassen? Als ihm der erste Blutstropfen mitten auf seinen Teller fiel, schreckte auch Hedda auf.
    »Mark!«, rief sie und erhob sich abrupt. Es war der typische Schrei einer Mutter, nicht entrüstet, weil sie den Trick durchschaut hatte, vielmehr voll abgrundtiefer Sorge.
    Die beiden verschwanden eilig im Badezimmer. Ich blieb allein zurück. Ich beobachtete die sanft flackernden Kerzen, hörte gelegentlich Heddas leise, besorgte Stimme und fragte mich, ob ich nicht besser aufstehen, die Tür leise hinter mir zuziehen und auf Nimmerwiedersehen verschwinden sollte. Aber das wäre mir wie eine Kapitulation vor dem Jungen vorgekommen. Ich schloss die Augen und spürte die Wärme, die mich umgab. Nie in den letzten Wochen war mir so warm gewesen. Ich trieb in einem weiten Meer, das sich aus heißen Quellen speiste. Ich sah, dass Ira hereinkam. Wegen der Hitze trug sie ein helles, spanisches Kleid, das sie wie eine x-beliebige Urlauberin aussehen ließ. Und dann kam auch Ochs, von dem mir plötzlich der Vorname nicht mehr einfiel. Sie beachteten mich gar nicht, schlichen an mir vorbei und bewegten sich, als wäre ein krankes, schlafendes Kind im Raum, das sie auf keinen Fall aufwecken wollten.
    Als ich die Augen wieder öffnete, saß Hedda erschöpft auf dem Stuhl neben mir. Sie hielt mein Geschenk, den silbernen Federhalter, in der Hand. »Vielen Dank«, sagte sie und beugte sich vor. Endlich hatte sie das Haarband abgelegt, das sie so fremd wirken ließ. »Es tut mir Leid. Mark schafft es immer wieder, mir einen ordentlichen Schrecken einzujagen.«
    Eine tiefgründige Stille hatte das Haus erfasst. Der Junge schien zu schlafen. Ohne dass wir ein Wort sprachen, zogen wir unsere Mäntel an und gingen in die klare, eisige Nacht hinaus. Wir schlugen den Weg zum See ein, am Friedhof vorbei, auf dem tatsächlich auf mehreren Gräbern Weihnachtsbäume leuchteten.
    Hedda begann als Erste zu sprechen. »Mark ist ein Winterkind«, sagte sie zögernd. »Er hat in drei Tagen Geburtstag,am ersten Tag des Winters. Ich glaube, er ist schon frierend auf die Welt gekommen, und nun, ohne seinen Vater hat er vollkommen die Orientierung verloren. Deshalb ist er auch so abweisend, gleichgültig, mit wem er es zu tun hat.«
    Ich verstand nicht genau, was Hedda meinte. Sollten ihre Worte eine Art Trost sein, aber wie konnte

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