Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das wird mein Jahr

Das wird mein Jahr

Titel: Das wird mein Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Lange
Vom Netzwerk:
das ganze Dolce-Vita-Zeug, das war eine ganz andere Welt. Hier gehörte ich nicht hin. Das ist das Leben eines anderen Jahrgangs. Wenn ich zwanzig Jahre älter wäre, würde ich bestimmt bleiben wollen, aber nicht jetzt.
    Ich überlegte noch einen Moment, doch dann sagte ich es: »Du, ich muss heute noch zurückfahren.«
    »Heute schon? Ja, schade.« Trotz ihrer Frage schien sie nicht überrascht. »Lass dich nicht in Stuttgart verhaften.« Es klang ironisch. Bei Elisabeth schien alles irgendwie leicht. Sie schaute entspannt zu mir rüber, und für einen Augenblick wurde ich fast etwas traurig. Aber ich musste nach Hause und nachsehen, ob Anke sich gemeldet hatte. Auch auf die Gefahr hin, dass dort keine Nachricht auf mich wartete.
    Elisabeth brachte mich noch bis zu meinem Auto. »Hier, falls du mich mal wieder besuchen möchtest, ruf vorher an. Nicht, dass ich gerade noch einen anderen Gärtner zu Besuch habe.« Sie lächelte und gab mir einen Zettel mit ihrer Telefonnummer. »Ich denke, ich bleibe mindestens den ganzen Winter hier. Du bist immer ein gern gesehener Gast«, sagte sie noch, gab mir einen Kuss auf die Wange und wandte sich zum Gehen.
    »Danke für alles. Du bist echt cool. Ich meld mich mal wieder!«, rief ich ihr hinterher. Elisabeth drehte sich um und winkte mir noch kurz zu. Ich sah sie im Rückspiegel.

17. Love Will Tear Us Apart
    Würde es blinken, hatte jemand was draufgesprochen. Ich schloss die Tür zu meiner Wohnung auf, und mein erster Blick fiel auf das rot leuchtende Lämpchen des Anrufbeantworters. Doch da war überhaupt kein rotes Licht. Weder blinkend noch andauernd. Nichts. Ich drückte die Wiedergabetaste – vergebens. Das Ding war aus. Mist! Hatte der Anrufbeantworter seinen Geist aufgegeben oder hatte ich in der allgemeinen Hektik vergessen ihn anzuschalten, bevor ich losgefahren war? Unmöglich! Mein Puls hämmerte noch vom schnellen Hochrennen der Treppe und von der Konfusion, die sich jetzt in meinem Körper ausbreitete wie Tinte auf einem Löschblatt.
    Ich stürzte die Stufen wieder runter auf den Hof, vor zu meinem Briefkasten gleich neben dem Büro. Doch da purzelte mir nur lästige Werbung entgegen. Kein Brief, keine Postkarte. Keine Nachricht von Anke. Während der ganzen Rückfahrt aus Italien hatte ich davon geträumt, begleitet von meiner Morrissey-Kassette. Wie lange war das jetzt her mit meiner Mixtape-Post? Vierzehn Tage? Oder noch länger? War letztlich auch egal. Ich hatte umsonst gewartet, das war klar. »Every Day Is Like Sunday« – wie wahr, Herr Morrissey.
    Und dann entdeckte ich doch noch einen Brief. Meine Adresse war mit Schreibmaschine draufgeschrieben. Post von Miami Vice aus Stuttgart. Na toll! Das war genau das, was ich jetzt gebrauchen konnte. Das Schreiben lud mich zu einer Zeugenbefragung ins Drogendezernat ein, in zwei Tagen. Langsam schlich ich über den einsamen Hof zurück in meine Wohnung. Erst jetzt merkte ich, dass es hier schon spürbar kühler war als am Mittelmeer. Wieso war ich nur von dort weg? Ach ja.
    Am nächsten Morgen wachte ich früh auf. Es war Sonntag. Ich durchstöberte meine Küche nach etwas Essbarem, fand aber nur Zwieback und Cola. Für Döner bei Ali war es noch zu früh. Ich dachte an das Frühstück bei Elisabeth. Ich hatte im Paradies auf einer Sonnenterrasse gesessen und war dennoch unzufrieden abgefahren. Lustlos knabberte ich an einem Stück Zwieback und lief ziellos durch die Wohnung. Eigentlich hatte ich noch eine Woche Urlaub. Aber den konnte ich unmöglich hier verbringen, quasi bei der Arbeit. Auf dem Küchentisch lag das Schreiben von der Polizei. Ich könnte Elisabeths Ex-Mann anrufen, aber … Nein, das war einfach zu blöd.
    Zeit für einen kompletten Tapetenwechsel, dachte ich immer wieder und kramte nach der neuen Adresse von Noel und Matti.
    Wann war ich überhaupt das letzte Mal in Ost-Berlin gewesen? 1987 zu unserer Abschlussfahrt in der zehnten Klasse, glaubte ich. Da hatten wir uns mit unserer Klassenlehrerin Frau Heyne den Alexanderplatz angeschaut, den Palast der Republik und die Museumsinsel. In der Zeit »zur freienVerfügung« war ich mit Andi die Friedrichstraße entlang bis zum Checkpoint Charlie gelaufen, diesem riesigen überdachten Grenzübergang. Teilweise sah man die Häuser auf der anderen Seite, und wir beschauten den Westen, der so nah war, wie noch nie zuvor in unserem Leben. Ich wusste noch, wie Andi damals gesagt hatte: »Der Fernsehturm ist von hier aus viel weiter weg als der

Weitere Kostenlose Bücher