Das Wirken der Unendlichkeit
die Öffnung steckt und zu fressen beginnt. Dann packst du ihn mit beiden Händen dicht hinter dem Kopf am Hals und läßt ihn nicht mehr los.
Meine drei Freunde und ich warten auf Pferden in einer Schlucht. Ich werde alles durch das Fernglas beobachten. Wenn ich sehe, daß du den König der Geier am Hals gepackt hast, galoppieren wir herbei, werfen uns auf den Geier und überwältigen ihn.«
»Können Sie den Geier überwältigen, Senor Acosta?« fragte ich. Ich zweifelte nicht an seinen Fähigkeiten, aber ich wollte die Bestätigung aus seinem Mund hören. »Natürlich kann ich das!« ewiderte er selbstsicher. »Wir werden Lederhandschuhe tragen und Ledergamaschen.
Der Geier hat scharfe Krallen. Damit kann er mühelos ein Schienbein brechen.«
Ich hatte keine Wahl. Die riesengroße Erwartung zog mich in ihren Bann. Meine Bewunderung für Senor Leandro Acosta kannte in diesem Augenblick keine Grenzen. Ich sah in ihm den wahren Jäger, der erfinderisch, geschickt und mit List seine Beute fängt.
»Also gut, dann wollen wir es wagen!« sagte ich. »Du bist ein braver Junge!« rief Senor Acosta. »Genau das habe ich von dir auch erwartet.« Er hatte hinter dem Sattel eine zusammengerollte Decke. Einer seiner Freunde hob mich hoch und setzte mich hinter Senor Acosta auf die Decke. » »Halt dich am Sattel fest«, sagte Senor Acosta. »Halt dich am Sattel und an der Decke fest.« Wir trabten los und ritten etwa eine Stunde, bis wir eine flache, trockene Einöde erreichten. Wir erreichten ein Zelt, das wie der Verkaufstand eines Händlers auf dem Markt aussah. Ein flaches Dach bot etwas Schatten. Darunter lag ein toter brauner Esel. Er schien nicht alt, sondern eher ein junges Tier zu sein.
Weder Senor Acosta noch seine Freunde äußerten sich darüber, ob sie den Esel tot gefunden oder getötet hatten. Ich erwartete, daß sie es mir sagen würden, aber ich wollte sie nicht danach fragen. Während der Vorbereitungen erklärte Senor Acosta, das Zelt sei wegen der Geier da, die in großer Höhe kreisten, Ausschau hielten und alles sahen, was sich hier unten ereignete. »Geier können sich nur auf ihre Augen verlassen«, sagte Senor Acosta. »Sie haben schlechte Ohren, und sie können nicht so gut riechen wie sehen. Wir werden alle Öffnungen an dem Kadaver schließen, denn ich möchte nicht, daß du durch ein Loch hinausspähst. Wenn sie deine Augen sehen, werden sie nicht landen. Sie dürfen nichts von dir sehen.«
Die Männer befestigten überkreuzte Stöcke im Bauch des Kadavers, die genug Platz für mich ließen. Ich wagte schließlich, die Frage zu stellen, die mir auf der Seele brannte.
»Sagen Sie, Senor Acosta, der Esel ist doch bestimmt an einer Krankheit gestorben. Glauben Sie, daß ich mich anstecken kann?«
Senor Acosta hob die Augen zum Himmel. »Aber, aber! So dumm kannst du doch nicht sein. Menschen sind nicht anfällig für die Krankheiten von Eseln. Kümmern wir uns um dieses Abenteuer und nicht um alberne Einzelheiten. Wenn ich so klein wäre wie du, würde ich in den Bauch des Esels kriechen. Weißt du, was es heißt, den König der Truthahngeier zu fangen?« Ich zweifelte nicht an seinen Worten. Seine Sicherheit legte sich wie ein Mantel uneingeschränkten Vertrauens um mich. Ich würde mich nicht übergeben und das größte Ereignis aller Zeiten zunichte machen. Der gefürchtete Augenblick kam, als mich Senor Acosta in den Esel kriechen ließ. Dann spannten sie das Fell über das Gestell aus den Stöcken und vernähten die Öffnungen. Auf der Unterseite ließen sie ein großes Loch, damit genug Luft zirkulieren konnte. Der schrecklichste Augenblick war für mich, als sie schließlich das Fell über meinem Kopf spannten, und es mich wie ein Sargdeckel in dem Kadaver einschloß. Ich atmete schnell und dachte nur an das aufregende Erlebnis, den König der Geier am Hals zu packen.
Senor Acosta gab mir die letzten Anweisungen. Er sagte, er werde mich durch einen Pfiff, der wie ein Vogelruf klang, wissen lassen, wenn der König der Geier über dem Kadaver kreiste, und durch einen zweiten Pfiff, wann er auf der Erde gelandet war. Ich sollte informiert sein, damit ich nicht grübeln oder ungeduldig werden würde. Dann hörte ich, wie sie das Zelt abbauten. Ich hörte auch, wie sie mit den Pferden davon galoppierten. Es war gut, daß sie mir kein einziges Loch zum Hinausblicken gelassen hatten, denn genau das hätte ich getan. Die Versuchung, einen Blick zum Himmel zu werfen, um zu sehen, was dort oben
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