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Das Wirken der Unendlichkeit

Das Wirken der Unendlichkeit

Titel: Das Wirken der Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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im Bewusstsein der Alltagswelt bleibst.« Seine Stimme klang streng und befehlend. »Heute wirst du eine klar umrissene Aufgabe haben«, fuhr er fort. »Du bist das letzte Glied einer langen Kette. Und du musst deine Aufgabe so vernünftig wie möglich durchführen.«
    In diesem Ton hatte Don Juan noch nie mit mir gesprochen. In diesem Augenblick war er ein anderer Mensch, doch gleichzeitig war er mir völlig vertraut. Ich gehorchte ihm demütig und kehrte in das Bewusstsein der Alltagswelt zurück. Mir war jedoch nicht bewusst, daß ich das tat. An jenem Tag hatte ich den Eindruck, daß ich aus Angst und Respekt vor Don Juan gehorchte. Dann redete Don Juan wieder in dem Ton, den ich kannte. Auch seine Worte waren mir vertraut. Er sagte, das Rückgrat des Wanderer-Kriegers seien Demut und Effizienz. Das heißt, daß man handelt, ohne etwas zu erwarten, und alles erträgt, was einem auf dem Weg begegnet.
    An dieser Stelle wechselte mein Bewusstsein wieder die Ebene. Ein Gedanke oder das Gefühl von Angst erfaßte mich. Ich wusste auf einmal, daß ich mich mit einigen Menschen darauf geeinigt hatte, mit ihnen zusammen zu sterben. Aber ich konnte mich nicht daran erinnern, wer diese Leute waren. Ohne den Schatten eines Zweifels war mir klar, daß es falsch sein würde, allein zu sterben. Meine Beklemmung wurde unerträglich. Don Juan sagte zu mir: »Wir sind allein. Das ist unser natürlicher Zustand. Aber allein zu sterben, bedeutet nicht, in Einsamkeit zu sterben.«
    Ich atmete tief, um meine Spannung aufzulösen. Die frische Luft verschaffte mir einen klaren Kopf. »Bei uns Männern dreht sich alles um unsere Zerbrechlichkeit«, fuhr er fort. »Wenn unser Bewusstsein zu wachsen beginnt, dann wächst es direkt im Mittelpunkt unseres leuchtenden Wesens wie eine Säule von unten nach oben . Diese Säule muss eine gewisse Höhe erreichen, bevor wir uns auf unser Bewusstsein verlassen können. In deinem Leben als Zauberer entgleitet dir dein neues Bewusstsein noch zu schnell. Wenn das geschieht, dann vergißt du alles, was du auf dem Weg des Krieger-Wanderers getan und gesehen hast, weil deine Wahrnehmung zurücksinkt zu den Zehen in das Bewusstsein deines alltäglichen Lebens. Ich habe dir erklärt, es ist die Aufgabe jedes männlichen Zauberers, alles zurückzugewinnen, was er auf dem Weg des Krieger-Wanderers getan und gesehen hat, während er sich auf neuen Ebenen des Bewusstseins befand. Das Problem jedes Zauberers liegt darin, daß er leicht vergißt, weil sein Bewusstsein bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit die neue Ebene verläßt und zu Boden sinkt.«
    »Ich verstehe genau, was du sagst, Don Juan«, erwiderte ich. »Vielleicht ist mir heute zum ersten Mal richtig bewusst geworden, warum ich alles vergesse und warum ich mich später wieder an alles erinnere. Ich habe immer geglaubt, eine persönliche pathologische Veranlagung sei der Grund für meine Bewusstseinsveränderungen. Ich weiß jetzt, weshalb es zu diesen Veränderungen kommt, aber ich kann mein Wissen nicht in Worte fassen.«
    »Mach dir darüber keine Gedanken«, sagte Don Juan. »Im Laufe der Zeit wirst du alles in Worte fassen können. Heute musst du aus deiner inneren Stille heraus handeln. Du musst in Übereinstimmung mit deinem Wissen handeln, ohne zu wissen. Du weißt ganz genau, was du tun musst, aber dieses Wissen ist in deinen Gedanken noch nicht ganz formuliert.«
    Auf der Ebene klarer Gedanken und Gefühle hatte ich nur das sehr unbestimmte Gefühl, etwas zu wissen, das nicht zu meinem Bewusstsein gehörte. In diesem Augenblick hatte ich die deutliche Empfindung, daß ich einen großen Schritt nach unten gemacht hatte. Etwas schien in mich hineingefallen zu sein. Ich empfand beinahe so etwas wie einen Stoß. Ich wusste, daß ich in jenem Augenblick in eine andere Bewusstseinsebene gewechselt war.
    Don Juan erklärte mir dann, ein Krieger-Wanderer habe die Pflicht, sich von allen Menschen, die er zurückläßt, zu verabschieden. Er muss sich mit lauter und klarer Stimme verabschieden, so daß sein Rufen und seine Gefühle auf ewig in jenen Bergen wie in einem Buch aufgezeichnet bleiben.
    Ich zögerte lange, aber nicht aus Scheu, sondern weil ich nicht wusste, wen ich in meinen Dank einbeziehen sollte. Ich hatte mir voll und ganz den Grundsatz der Zauberer zu eigen gemacht, daß ein Krieger-Wanderer niemandem Dank schuldet.
    Don Juan hatte mir das Prinzip eingeschärft: »Krieger-Wanderer bezahlen mit Grandezza und mit

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