Das Wirken der Unendlichkeit
stand auf. Er war größer als Jörge Campos und so dünn wie eine Bohnenstange. Ich vermutete, es sei als eine freundliche Geste gedacht, daß er seine Guaraches anzog. »Kommt herein, kommt herein«, sagte er, ohne zu lächeln. Ich hatte das seltsame Gefühl, Lucas Coronado wusste nicht, wie man lächelt. »Was verschafft mir die Ehre dieses Besuchs?« fragte er Jörge Campos. »Ich habe diesen jungen Mann hierher gebracht, weil er dir ein paar Fragen zu deiner Kunst stellen möchte«, sagte Jörge Campos gönnerhaft. »Ich habe mich dafür verbürgt, daß du seine Fragen ehrlich beantworten wirst.«
»Oh, das ist kein Problem, überhaupt kein Problem!« versicherte mir Lucas Coronado und durchbohrte mich mit seinem kalten Blick.
Er wechselte dann die Sprache und redete, wie ich vermutete, Yaqui. Er und Jörge Campos führten ein angeregtes Gespräch, das eine Weile dauerte. Beide verhielten sich, als sei ich Luft.
»Wir haben ein kleines Problem«, erklärte Jörge Campos schließlich. »Lucas hat mir gerade gesagt, daß er sehr beschäftigt ist, weil die Festlichkeiten näher rücken. Deshalb kann er nicht alle deine Fragen beantworten, aber das wird er ein anderes Mal tun.« »Ja, ja, ganz bestimmt«, sagte Lucas Coronado zu mir auf spanisch. »Ein anderes Mal, ein anderes Mal.« »Wir müssen unseren Besuch kurz halten«, sagte Jörge Campos, »aber ich bringe dich wieder zurück.« Beim Abschied fühlte ich mich veranlaßt, Lucas Coronado meine Bewunderung für seine erstaunliche Methode, mit Händen und Füßen zu arbeiten, auszudrücken. Er sah mich an, als sei ich verrückt, und seine Augen wurden vor Überraschung groß.
»Hast du noch nie gesehen, wie jemand eine Maske macht?« fauchte er durch die zusammengepressten Zähne. »Woher kommst du? Vom Mars?« Ich entschuldigte mich und versuchte zu erklären, daß mir seine Technik völlig neu sei. Er schien drauf und dran, mich zusammenzuschlagen. Jörge Campos mischte sich ein und erklärte mir auf englisch, ich hätte Lucas Coronado mit meinen Bemerkungen beleidigt. Er sehe in meinem Lob eine verschleierte Art, sich über seine Armut lustig zu machen. Er halte meine Worte für Ironie. »Aber ganz im Gegenteil!« erwiderte ich. »Ich finde seine Methode genial!« « »Versuch nicht, ihm das zu sagen«, sagte Jörge Campos warnend. »Die Leute hier haben Erfahrung darin, Beleidigungen in der verstecktesten Form entgegenzunehmen und auszuteilen. Er findet es seltsam, daß du ihn aufsuchst, obwohl du ihn nicht einmal kennst, und er glaubt, du machst dich darüber lustig, daß er sich keine Vorrichtung leisten kann, um seine Maske zu halten.« Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Auf keinen Fall wollte ich die einzige mögliche Kontaktperson verärgern, die mich zu dem alten Schamanen bringen konnte. Jörge Campos schien mein Problem zu verstehen. »Kauf eine seiner Masken«, riet er mir. Ich erklärte ihm, ich hätte gerade noch genug Geld für Benzin und etwas zu essen, und ich wolle ohne Zwischenstop direkt nach Los Angeles fahren. »Dann gib ihm deine Lederjacke«, sagte er ungerührt, aber offensichtlich in dem Bemühen zu helfen. »Sonst wirst du ihn wütend machen, und er wird nur im Zusammenhang mit der Beleidigung an dich denken. Aber sag ihm nicht, daß seine Masken schön sind. Kauf einfach eine!«
Als ich Lucas Coronado sagte, ich wollte meine Lederjacke gegen eine seiner Masken eintauschen, lachte er zufrieden. Er nahm die Jacke und zog sie an. Er lief zu seinem Haus, aber bevor er eintrat, machte er ein paar seltsame Drehungen. Er kniete vor einer Art Altar und bewegte die Arme, als wolle er sie strecken, und rieb mit den Händen die Seiten der Jacke. Er ging ins Haus und kam mit einem in Zeitungspapier eingewickeltem Päckchen zurück, das er mir gab. Ich wollte ihm ein paar Fragen stellen. Er entschuldigte sich mit dem Hinweis, er müsse arbeiten, aber er fügte hinzu, wenn ich wollte, könnte ich ein anderes Mal wiederkommen.
Auf dem Rückweg nach Guaymas forderte mich Jörge Campos auf, das Päckchen zu öffnen. Er wollte sich vergewissern, daß mich Lucas Coronado nicht betrogen hatte. Ich hatte kein Interesse daran, das Päckchen zu öffnen, ich freute mich nur darüber, daß ich Lucas Coronado allein besuchen konnte, um mit ihm zu reden. Das versetzte mich in Hochstimmung. »Ich muss sehen, was er dir gegeben hat.« Jörge Campos blieb hartnäckig. »Bitte halt den Wagen an. Ich möchte unter keinen Umständen oder aus irgendwelchen
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