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Das Wirken der Unendlichkeit

Das Wirken der Unendlichkeit

Titel: Das Wirken der Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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Lucas Coronado wusste nicht, wo Ignacio Flores wohnte, aber er war sehr zuvorkommend und fuhr mit mir in die nächste Yaqui-Stadt, wo er den Mann für mich fand.
    Ignacio Flores war groß und korpulent und vermutlich über sechzig. Lucas Coronado hatte mich darauf vorbereitet, daß dieser große Mann eine militärische Laufbahn hinter sich hatte und sich noch immer als Soldat fühlte. Ignacio Flores hatte einen riesigen Schnauzbart. Der Bart und die glühenden Augen machten ihn zum Inbegriff eines grimmigen Soldaten. Er hatte eine dunkle Haut und trotz seines Alters pechschwarze Haare. Die kräftige und rauhe Stimme schien nur dazu ausgebildet zu sein, Befehle zu geben. Ich hatte den Eindruck, daß er bei der Kavallerie gewesen war. Er bewegte sich, als trage er immer noch Sporen. Und aus einem merkwürdigen, unerklärlichen Grund hörte ich das Klirren von Sporen, wenn er ging. Lucas Coronado machte mich mit ihm bekannt und sagte, ich sei aus Arizona gekommen, um seinen Vater zu sehen, den ich in Nogales kennengelernt hätte. Ignacio Flores schien darüber keineswegs erstaunt zu sein. »Ach ja!« Er nickte. »Mein Vater ist viel auf Reisen.« Ohne Umstände erklärte er uns, wo wir seinen Vater finden würden. Er begleitete uns nicht. Ich hatte den Eindruck, es geschah aus Höflichkeit. Er entschuldigte sich und marschierte davon, als befinde er sich auf einer Parade.
    Ich machte mich darauf gefaßt, den alten Mann in Begleitung von Lucas Coronado aufzusuchen. Er lehnte das jedoch höflich ab und bat mich darum, ihn nach Hause zurückzubringen.
    »Ich glaube, du hast den Mann gefunden, den du suchst, und ich meine, du solltest allein mit ihm sein«, sagte er. Ich staunte darüber, wie überaus höflich die Yaqui- Indianer waren und daß sie gleichzeitig so überaus feindselig sein konnten. Man hatte mir gesagt, die Yaqui seien Wilde, die ohne weiteres einen Menschen umbringen würden. Und doch hatte ich bisher als ihre bemerkenswerten Eigenschaften Höflichkeit und Rücksichtnahme kennengelernt.
    Ich fuhr zu dem Haus, in dem der Vater von Ignacio Flores wohnte. Dort fand ich den Mann, den ich suchte.
    »Ich frage mich, weshalb Jörge Campos gelogen und behauptet hat, dich zu kennen«, sagte ich, als ich meinen Bericht beendet hatte.
    »Er hat dich nicht belogen«, sagte Don Juan so eindringlich wie jemand, der das Verhalten von Jörge Campos entschuldigte. »Er hat sich noch nicht einmal falsch dargestellt. Er hielt dich für eine leichte Beute und wollte dich übers Ohr hauen. Er konnte seinen Plan allerdings nicht durchführen, weil ihn die Unendlichkeit überwältigt hat. Weißt du, daß er verschwunden ist, kurz nachdem er dich kennengelernt hatte, und niemand kann ihn finden?«
    »Jörge Campos war für dich eine sehr wichtige Persönlichkeit«, fuhr er fort. »In allem, was zwischen euch beiden stattgefunden hat, wirst du eine Art wegweisendes Schema finden, denn er repräsentiert dein Leben.« »Wie das? Ich bin kein Betrüger!« protestierte ich. Er lachte, als wisse er etwas, das mir nicht bekannt war. Daraufhin folgte meinerseits eine umfassende Erklärung meines Tuns, meiner Ideale, meiner Erwartungen. Doch ein seltsamer Gedanke drängte mich mit derselben Vehemenz, mit der ich erklärte, wer ich war, in Betracht zu ziehen, daß ich unter gewissen Umständen vielleicht wie Jörge Campos sei. Ich fand diese Vorstellung unakzeptierbar und setzte meine ganze Energie daran zu versuchen, sie zurückzuweisen. Doch im tiefsten Innern dachte ich gar nicht daran, mich dafür zu entschuldigen, falls ich mich wie Jörge Campos verhalten sollte. Als ich Don Juan mein Dilemma erklärte, lachte er so schallend, daß er sich mehrmals verschluckte.
    »Ich an ceiner Stelle«, sagte er, »würde auf meine innere Stimme hören. Was für einen Unterschied würde es machen, wenn du wie Jörge Campos ein Betrüger wärst? Er war ein sehr schäbiger Betrüger. Du bist vielschichtiger. Verstehst du, das bewirkt die Macht des Erzählens. Aus diesem Grund greifen die Schamanen dazu. Es bringt uns mit etwas in Berührung, von dessen Vorhandensein in uns wir nicht einmal etwas geahnt hatten.« Ich wollte auf der Stelle gehen. Don Juan wusste genau, was ich empfand.
    »Hör nicht auf die alberne Stimme, die dich wütend macht«, sagte er im Befehlston. »Hör auf die tiefere Stimme, die dich von jetzt an führen wird. Höre auf die Stimme, die lacht. Hör auf sie! Und lach mit ihr. Lach! Lach!«
    Seine Worte wirkten wie ein

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