Das Wirken der Unendlichkeit
ein Leiden, das ihn langsam zugrunde richtete. »Ich habe ihn durch meinen Sohn Ignacio wissen lassen, was er tun soll, um sich zu heilen«, fuhr Don Juan fort. »Aber er hält meinen Rat für Unsinn und will nicht darauf hören. Es ist nicht sein Fehler. Die ganze menschliche Rasse möchte auf nichts hören. Alle Menschen hören nur das, was sie hören wollen.«
Ich erinnerte mich daran, daß ich Don Juan darum gebeten hatte, mir zu sagen, was ich Lucas Coronado raten könnte, um ihm zu helfen, seine körperlichen Schmerzen und seine inneren Ängste zu lindern. Don Juan sagte mir nicht nur, was ich ihm raten sollte, sondern behauptete, daß Lucas Coronado sich ohne weiteres selbst heilen könnte, wenn das sein Wunsch sei. Doch als ich Don Juans Botschaft überbrachte, sah mich Lucas Coronado an, als hätte ich den Verstand verloren. Dann verfiel er in das glänzende, und wenn ich ein Yaqui gewesen wäre, höchst beleidigende Abbild eines Mannes, den die unangebrachte Hartnäckigkeit eines gewissen Jemand zu Tode langweilt. Ich fand, nur ein Yaqui-Indianer konnte so subtil sein.
»Diese Dinge helfen mir nicht«, erklärte er schließlich trotzig und ärgerlich über meinen Mangel an Sensibilität. »Es ist nicht weiter wichtig. Wir müssen alle sterben. Aber glaube ja nicht, daß ich die Hoffnung verloren habe. Ich werde mir Geld von der Staatsbank besorgen. Ich lasse mir eine Vorauszahlung auf meine Ernte geben, und dann habe ich genug Geld, um mir etwas zu kaufen, das mich ohne jeden Zweifel heilen wird. Es heißt Vitaminol.«
»Was ist Vitaminol?« fragte ich.
»Man wirbt dafür im Radio«, antwortete er mit der Unschuld eines Kindes. »Damit heilt man alles. Vitaminol ist besonders gut für Leute, die nicht jeden Tag Fleisch, Fisch oder Geflügel essen. Es hilft jemandem wie mir, der kaum noch Körper und Seele zusammenhalten kann.«
In meinem Bestreben, Lucas Coronado zu helfen, beging ich damals in einer Gesellschaft mit so überempfindlichen Menschen wie den Yaqui den denkbar größten Fehler. Ich bot ihm das Geld an, um Vitaminol zu kaufen. Sein kalter Blick ließ mich ahnen, wie tief ich ihn verletzt hatte. Meine Dummheit war unverzeihlich. Sehr leise erklärte Lucas Coronado dann, er könne sich Vitaminol selbst leisten.
Ich ging zu Don Juan zurück, und mir war nach Weinen zumute. Mein Eifer hatte mich zu einer großen Dummheit verleitet.
»Verschwende deine Energie nicht damit, dir über solche Dinge Gedanken zu machen«, erklärte Don Juan ungerührt. »Lucas Coronado ist so wie du, wie alle, in einem Teufelskreis gefangen. Er hat Vitaminol, von dem er glaubt, es wird alles heilen und alle seine Probleme lösen. Im Augenblick kann er es sich nicht leisten, aber er macht sich große Hoffnungen, daß er es sich eines Tages leisten kann.«
Don Juan durchbohrte mich mit seinem Blick. »Ich habe dir gesagt, das Verhalten von Lucas Coronado dient als ein vorgezeichneter Plan deines Lebens«, sagte er. »Glaub mir, so ist es. Lucas Coronado hat dich auf Vitaminol hingewiesen. Er hat es auf eine so wirksame und schmerzhafte Weise getan, daß er dich verletzt hat und du deshalb Tränen vergießt.«
Don Juan schwieg. Er machte eine lange und sehr wirkungsvolle Pause. »Und behaupte jetzt nicht, daß du nicht verstehst, was ich damit meine«, fuhr er fort. »Auf die eine oder andere Weise haben wir alle unsere eigene Version von Vitaminol.«
Wer war Juan Matus wirklich?
Bei dem Teil meines Berichts über die Begegnung mit Don Juan, von dem er nichts hören wollte, ging es mir um die Gefühle und Eindrücke an jenem schicksalhaften Tag, als ich sein Haus betrat. Ich erlebte einen heftigen Zusammenprall zwischen meinen Erwartungen und der Wirklichkeit der Situation, hinzu kam die Wirkung, die durch die Fülle der phantastischsten Gedanken, die mir je zu Ohren gekommen waren, ausgelöst wurde.
»Das ist eher eine Beichte als die Wiedergabe von Ereignissen«, sagte Don Juan einmal zu mir, als ich versuchte, ihm all das zu erzählen.
»Das ist völlig falsch, Don Juan«, erwiderte ich, aber ich verstummte sofort. Etwas in seinem Blick verriet mir, daß er recht hatte. Alles, was ich hätte sagen können, hätte doch nur wie ein Lippenbekenntnis oder wie Schmeichelei geklungen. Doch was sich bei unserer ersten wirklichen Begegnung ereignete, hatte für mich eine überragende Bedeutung und entscheidende Folgen. Bei der ersten Begegnung mit Don Juan im Busbahnhof von Nogales, Arizona, war mir etwas
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