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Das Wirken der Unendlichkeit

Das Wirken der Unendlichkeit

Titel: Das Wirken der Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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hypnotischer Befehl. Gegen meinen Willen begann ich zu lachen. Ich war nie so glücklich gewesen. Ich fühlte mich frei und ohne Maske. »Erzähle dir die Geschichte von Jörge Campos immer wieder selbst«, riet mir Don Juan. »Du wirst einen unendlichen Reichtum darin finden. Jede Einzelheit ist Teil eines vorgezeichneten Plans. Es ist das Wesen der Unendlichkeit, einen Plan vor uns auszubreiten, wenn wir erst eine bestimmte Schwelle überschritten haben.« Er blickte mich lange an. Er sah mich nicht nur an wie zuvor, sondern er betrachtete mich. »Jörge Campos konnte etwas nicht vermeiden«, sagte er schließlich. »Er musste dich mit dem anderen Mann, mit Lucas Coronado, zusammenbringen, der für dich ebenso bedeutsam ist wie Jörge Campos, vielleicht sogar noch wichtiger.« Beim Erzählen der Geschichte von den beiden Männern war mir bewusst geworden, daß ich mit Lucas Coronado mehr Zeit verbracht hatte als mit Jörge Campos. Unsere Gespräche waren jedoch nicht so intensiv gewesen und von langem Schweigen unterbrochen worden. Lucas Coronado war von Natur aus kein sehr gesprächiger Mensch. Auf eine seltsame Weise gelang es ihm, jedesmal, wenn er schwieg, mich ebenfalls in diesen Zustand zu versetzen.
    »Lucas Coronado ist der andere Teil deiner Landkarte«, sagte Don Juan. »Findest du es nicht seltsam, daß er ein Bildhauer ist wie du, ein übersensibler Künstler, der genau wie du früher einmal einen Mäzen für seine Kunst suchte? Er hielt Ausschau nach einem Geldgeber, so wie du eine Frau gesucht hast, eine Liebhaberin der Künste, die deine Kreativität fördern würde.«
    In mir begann ein neuer schrecklicher Kampf. Ich war mir absolut sicher, daß ich Don Juan gegenüber diese Seite meines Lebens nicht erwähnt hatte. Doch alles, was er gesagt hatte, stimmte, und ich konnte mir absolut nicht erklären, wie er zu dieser Information gekommen sein konnte. Ich wäre am liebsten wieder davongelaufen. Aber auch diesmal war eine innere Stimme stärker, die irgendwoher aus der Tiefe kam. Ohne daß Don Juan mich dazu bringen musste, begann ich lauthals zu lachen. Einen Teil von mir auf einer tieferen Ebene interessierte es überhaupt nicht herauszufinden, wie Don Juan zu dieser Information gekommen war. Es besaß dieses Wissen und setzte es auf eine so gezielte, aber auch nachsichtige Weise ein, daß es Spaß machte, seine Strategie zu verfolgen. Es war ohne jede Bedeutung, daß der oberflächliche Teil von mir wütend wurde und mich zum Gehen aufforderte. »Sehr gut«, sagte Don Juan und schlug mir kräftig auf den Rücken. »Das machst du wirklich sehr gut.« Er wirkte einen Augenblick nachdenklich, als sähe er vielleicht Dinge, die dem normalen Auge verborgen bleiben.
    »Jörge Campos und Lucas Coronado sind die beiden Enden einer Achse«, sagte er. »Die Achse bist du. Auf der einen Seite bist du ein rücksichtsloser, schamloser, käuflicher und dummer Gauner, der sich nur um sich selbst kümmert, der abstoßend, aber nicht unterzukriegen ist. Auf der anderen Seite bist du ein übersensibler Künstler, der schwach und verletzlich ist. Das wäre eigentlich der vorgezeichnete Plan deines Lebens, wenn sich nicht eine andere Möglichkeit aufgetan hätte. Und das ist die Möglichkeit, die sich dir eröffnete, als du die Schwelle der Unendlichkeit überschritten hast. Du hast mich gesucht und mich gefunden, und auf diese Weise hast du die Schwelle überschritten. Das Wollen der Unendlichkeit beauftragte mich, nach jemandem wie dir Ausschau zu halten. Ich habe dich gefunden und damit selbst die Schwelle überschritten.«
    An dieser Stelle endete das Gespräch. Don Juan versank in sein gewohnheitsmäßig langes Schweigen. Erst als wir am Ende des Tages zu seinem Haus zurückgekehrt waren und unter seinem Vordach saßen und nach der langen Wanderung Kühlung suchten, brach er sein Schweigen.
    »In deiner Erzählung über das, was sich zwischen dir und Jörge Campos und dir und Lucas Coronado ereignet hat«, fuhr Don Juan fort, »ist mir etwas sehr Beunruhigendes aufgefallen, und ich hoffe, dir auch. Für mich ist es ein Omen. Es weist auf das Ende einer Zeit hin. Und das bedeutet, alles, was in dieser Zeitspanne Bestand gehabt hat, kann nicht überdauern. Sehr unsichere Faktoren haben dich zu mir geführt. Keiner von ihnen könnte für sich allein bestehen. Das habe ich deinem Bericht entnommen.«
    Ich erinnerte mich daran, daß mir Don Juan eines Tages gesagt hatte, Lucas Coronado sei unheilbar krank. Er hatte

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