Das Wirken der Unendlichkeit
fügten sie dem Mais ein Enzym hinzu, das sich im Speichel der Menschen befindet. Die Studenten stöhnten vor unterdrücktem Entsetzen bei der Erwähnung von Speichel.
Der Professor schien sich königlich darüber zu amüsieren. Er lachte und kicherte wie ein ungezogenes Kind. Er erklärte dann, die Frauen seien Expertinnen im Kauen. Er nannte sie die >tschaicha Kauerinnen<. Mit einem Blick auf die erste Reihe im Vorlesungssaal, wo junge Studentinnen saßen, holte er dann zum Volltreffer aus. »Ich hatte das Prrrivileg«, berichtete er mit seinem seltsamen ausländischen Akzent, »aufgefordert zu werden, mit einer der Chahicha Kauerinnen zu schlafen. Die Kunst, den Chahicha Brei zu kauen, führt bei ihnen dazu, daß sich an Hals und Wangen Muskeln bilden, mit denen sie wahre Wunder vollbringen können.« Er blickte seine verwirrten Zuhörer an und machte eine lange Pause, die nur sein Lachen unterbrach. »Ich bin sicher, Sie können mir folgen«, sagte er und fing an, hysterisch zu lachen.
Die Anspielung des Professors löste einen wahren Sturm aus. Die Vorlesung wurde mindestens fünf Minuten lang von Gelächter und einer Fülle Fragen unterbrochen, die der Professor unter noch mehr albernem Gekicher ablehnte zu beantworten.
Ich fühlte mich so bedrängt von den Tonbändern, der Geschichte des Psychiaters und von den >Chahicha Kauerinnen< des Professors, daß ich kurz entschlossen meinen Job aufgab, die Universität verließ und nach Los Angeles zurückfuhr.
»Die Ereignisse mit dem Psychiater und dem Anthropologieprofessor«, sagte ich zu Don Juan, »haben mich in einen mir unbekannten emotionalen Zustand versetzt. Ich kann ihn nur mit Selbstreflexion beschreiben, denn ich redete ohne Unterlaß mit mir selbst.«
»Dein Leiden ist sehr einfach«, erwiderte Don Juan und schüttelte sich vor Lachen. Offensichtlich freute er sich über meine Situation. Ich konnte diese Freude nicht teilen, denn ich vermochte die komische Seite daran nicht zu sehen. »Deine Welt nähert sich ihrem Ende«, sagte er. »Es ist für dich das Ende einer Zeit. Glaubst du, die Welt, die du dein ganzes Leben lang gekannt hast, wird dich in Frieden und ohne großes Aufheben ziehen lassen? Nein! Sie windet sich unter dir und schlägt nach dir mit ihrem Schweif.«
Der Standpunkt, den ich nicht ertragen konnte
Los Angeles war für mich immer ein Zuhause gewesen. Ich hatte mich nicht freiwillig für Los Angeles entschieden, aber das Leben in Los Angeles war für mich stets so gewesen, als wäre ich dort geboren. Meine emotionale Bindung war immer ohne Einschränkung gewesen. Ich habe Los Angeles stets geliebt. Die Stadt war einfach so sehr ein Teil von mir, daß ich nie darüber sprechen musste. Ich musste über meine Liebe nie nachdenken oder sie erneuern.
In Los Angeles hatte ich meinen Freundeskreis. Meine Freunde gehörten für mich zu meiner unmittelbaren Umgebung, was heißt, daß ich sie so völlig und rückhaltlos akzeptiert hatte wie die Stadt. Einer meiner Freunde sagte einmal halb im Spaß, daß wir uns alle gegenseitig von Herzen hassen. Zweifellos konnten sie sich solche Gefühle leisten, denn für sie gab es noch andere emotionale Bindungen wie Eltern, Ehefrauen und Ehemänner. Ich hatte in Los Angeles nur meine Freunde. Aus welchem Grund auch immer, ich war ihr persönlicher Vertrauter. Sie alle überschütteten mich mit ihren Problemen und Schicksalsschlägen. Meine Freunde standen mir so nahe, daß ich mir ihre Schwierigkeiten oder Leiden nie als Probleme bewusstmachte. Ich konnte mit ihnen stundenlang über dieselben Dinge sprechen, die mir bei dem Psychiater und auf seinen Tonbändern Entsetzen eingejagt hatten. Überdies war mir nie bewusst geworden, daß jeder meiner Freunde dem Psychiater und dem Anthropologieprofessor erstaunlich ähnelte. Ich hatte nie bemerkt, daß meine Freunde voller Spannungen waren. Sie alle rauchten zwanghaft wie der Psychiater. Aber das war mir nie aufgefallen, denn ich rauchte ebensoviel und war selbst ein Bündel voll Spannungen. Ihre gekünstelte Sprache war mir nie aufgefallen, obwohl sie unüberhörbar war. Sie legten stets Wert auf den kalifornischen Akzent und sie waren sich ihrer Sprechgewohnheiten sehr wohl bewusst. Ebenso wenig waren mir ihre offenen Anspielungen über eine Sinnlichkeit bewusst geworden, die sie nicht oder nur intellektuell empfinden konnten. Die eigentliche Konfrontation mit mir selbst begann, als ich mich mit dem Problem meines Freundes Pete auseinandersetzen
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