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Das Wirken der Unendlichkeit

Das Wirken der Unendlichkeit

Titel: Das Wirken der Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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Vorrichtungen und alle, an deren Entwicklung noch gearbeitet wurde, seien kulturelle Angelegenheiten, und selbst ihre Erfinder und Konstrukteure könnten nur auf indirekte Weise in den Genuß des Erreichten kommen. Ihr einziger Lohn dafür sei das Geld. Dadurch, daß Don Juan mir das alles erklärte, war es ihm gelungen, daß meine Haltung kritischer wurde. Ich begann, die Gedanken von Professor Lorca in Frage zu stellen. Das hatte ich noch nie zuvor getan. Professor Lorca enthüllte weiterhin erstaunliche Wahrheiten über Erkenntnistheorie. Jede Äußerung war ausgefeilter als die vorhergehende und deshalb noch zwingender. Am Ende meines zweiten Semesters bei Professor Lorca steckte ich in einer Sackgasse. Es war mir absolut unmöglich, die beiden Denkweisen, die von Don Juan und die von Professor Lorca, miteinander in Einklang zu bringen. Sie verliefen parallel. Ich verstand Professor Lorcas Wunsch, das Studium der Erkenntnistheorie zu qualifizieren und quantifizieren. Damals öffnete sich gerade die Welt der Kybernetik, und der praktische Aspekt der Erforschung der Erkenntniswelt war eine Realität. Aber das war auch Don Juans Welt, die nicht mit den Standardgeräten des Erkenntnissystems gemessen werden konnte. Ich war dazu ausersehen, das an Don Juans Tun zu beobachten, aber ich hatte es nicht selbst erlebt. Ich war der Ansicht, daß darin meine Schwäche lag, die es mir unmöglich machte, die beiden Welten miteinander zu verbinden.
    Bei einem meiner Besuche bei ihm sagte ich das alles Don Juan. Er erwiderte, meine sogenannte Schwäche und der angebliche Grund für die Unmöglichkeit, die beiden Welten zu überbrücken, seien nicht korrekt. Seiner Meinung nach war die Schwäche etwas sehr viel Umfassenderes und ging weit über die individuellen Verhältnisse des einzelnen hinaus. »Vielleicht erinnerst du dich daran, was ich über eine unserer größten Schwächen als durchschnittliche Menschen gesagt habe.« Mir fiel dazu nichts Konkretes ein. Er hatte über so viele Schwächen gesprochen, die uns als durchschnittlichen Menschen anhaften, daß ich an alles mögliche dachte. »Du denkst an etwas ganz Bestimmtes«, sagte ich. »Das fällt mir nicht ein.«
    »Die große Schwäche, von der ich rede«, erwiderte er, »sollte man jede Sekunde des Lebens im Bewusstsein halten. Für mich ist es das Thema aller Themen. Ich werde es so lange wiederholen, bis es dir aus Mund und Nase kommt.«
    Nach einer langen Pause gab ich den Versuch auf, mich daran zu erinnern.
    »Wir sind Wesen, die auf dem Weg sind zu sterben«, erklärte er. »Wir sind nicht unsterblich, aber wir verhalten uns so, als ob wir das seien. Diese Schwäche ist unser Untergang als Individuen, und sie wird eines Tages unser Untergang als Menschheit sein.«
    Don Juan erklärte, der Vorteil der Zauberer im Vergleich zum durchschnittlichen Menschen liege darin, daß die Zauberer wissen, daß sie Wesen sind, die sich auf dem Weg befinden zu sterben, und sie lassen sich nicht von diesem Wissen abbringen. Er betonte, es bedürfe einer sehr großen Anstrengung, das Wissen als unumstößliche Gewißheit zu haben und zu behalten. »Warum fällt es uns so schwer, etwas so Richtiges anzuerkennen?« fragte ich, denn das Ausmaß unseres Widerspruchs verwirrte mich.
    »Das liegt wirklich nicht an den Menschen«, erwiderte er versöhnlich. »Eines Tages werde ich dir mehr über die Kräfte sagen, die den Menschen dazu bringen, sich wie ein Dummkopf zu verhalten.«
    Mehr war dazu nicht zu sagen. Es folgte ein ominöses Schweigen. Ich wollte in diesem Augenblick nicht einmal wissen, von welchen Kräften Don Juan sprach. »Es ist nichts Großartiges daran, mir aus der Ferne ein Urteil über deinen Professor zu bilden«, fuhr Don Juan fort. »Er ist ein unsterblicher Wissenschaftler. Er wird niemals sterben. Und in Hinblick auf die praktischen Dinge, die mit dem Sterben zusammenhängen, hat er mit Sicherheit entsprechende Vorsorge getroffen. Er besitzt bereits ein Grab, wo er beigesetzt werden soll, und eine stattliche Lebensversicherung garantiert das Wohl seiner Familie. Nachdem er diese beiden Dinge geregelt hat, denkt er nicht mehr über den Tod nach. Seine Gedanken kreisen nur um seine Arbeit.
    Die Worte von Professor Lorca klingen vernünftig«, fuhr Don Juan fort, »weil er bereit ist, Worte präzise zu verwenden. Aber er ist nicht bereit, sich als einen Menschen ernst zu nehmen, der sterben wird. Da er unsterblich ist, weiß er nicht, wie er das tun soll. Es kommt

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