Das Wirken der Unendlichkeit
denjenigen zu verfolgen, der ihn immer gereizt hatte, rannte er hinter mir her. Ich sprang auf das Dach eines Wagens, doch der Wagen stellte für den Hund kein Hindernis dar. Mit einem Satz war er beinahe neben mir. Ich sprang hinunter und kletterte auf den ersten erreichbaren Baum. Es war ein schwächlicher kleiner Baum, der mein Gewicht kaum tragen konnte. Ich war sicher, der Stamm würde brechen, und ich würde direkt in das Maul des Hundes fallen, der mich in Stücke reißen würde. Auf dem Baum war ich beinahe sicher vor der Bestie. Doch der Hund sprang hoch, schnappte nach mir, erwischte meinen Hosenboden und zerriß den Stoff. Seine Zähne zwickten mich leicht in den Hintern. Ich kletterte etwas höher, und als ich außer Reichweite oben auf dem Baum war, verschwand der Hund. Er rannte die Straße entlang; vielleicht suchte er meinen Freund. In der Ambulanz der Schule sagte mir die Krankenschwester, ich müsse von dem Besitzer des Hundes eine Bescheinigung verlangen, daß das Tier gegen Tollwut geimpft sei.
»Du musst das prüfen«, sagte sie ernst. »Vielleicht hast du bereits die Tollwut. Wenn der Besitzer sich weigert, dir die Impfbescheinigung zu zeigen, hast du das Recht, die Polizei zu rufen.«
Ich sprach mit dem Hausmeister des Anwesens, wo der Hund lebte. Er beschuldigte mich, den wertvollsten Hund des Besitzers, ein Rassetier, auf die Straße gelockt zu haben.
»Paß bloß auf, Junge!« sagte er wütend. »Der Hund ist verschwunden. Der Besitzer wird dich ins Gefängnis bringen, wenn du ihn weiter belästigst.« »Aber vielleicht habe ich die Tollwut«, sagte ich entsetzt.
»Mir ist das egal, meinetwegen kannst du die Beulenpest haben«, fuhr mich der Mann an. »Verschwinde!« »Ich gehe zur Polizei«, sagte ich.
»Geh, wohin du willst«, erwiderte er. »Wenn du die Polizei rufst, werden wir die Beamten dazu bringen, gegen dich vorzugehen. Wir haben genug Einfluß hier, um das zutun!«
Ich glaubte ihm. Also log ich und sagte der Krankenschwester, der Hund sei nicht auffindbar und habe keinen Besitzer.
»O mein Gott!« rief die Frau. »Dann mach dich auf das Schlimmste gefaßt. Vielleicht muss ich dich zum Arzt schicken.« Sie gab mir eine lange Liste der Symptome, auf die ich achten oder deren Auftauchen ich abwarten sollte. Sie sagte, die Injektionen bei Tollwut seien sehr schmerzhaft. Das Mittel müsse subkutan in der Bauchregion injiziert werden.
»Diese Behandlung würde ich meinem schlimmsten Feind nicht wünschen«, erklärte sie, und damit begann für mich ein grauenvoller Alptraum. Es folgte meine erste wirkliche Depression. Ich lag im Bett und spürte jedes einzelne der Symptome, welche die Schwester aufgezählt hatte. Schließlich ging ich in die Ambulanz in der Schule und flehte die Frau an, mir die Tollwut-Behandlung zu verpassen, ganz gleich, wie schmerzhaft sie sei. Ich machte eine Riesenszene. Ich wurde hysterisch. Ich hatte nicht die Tollwut, aber ich hatte völlig die Selbstkontrolle verloren. Ich berichtete Don Juan die beiden Erinnerungen in allen Einzelheiten, ohne etwas auszulassen. Er äußerte sich nicht dazu. Er nickte nur mit dem Kopf. »Beide Male, Don Juan«, sagte ich und spürte die Spannung in meiner Stimme, »war ich richtig hysterisch, als ich mich erinnerte. Ich habe am ganzen Leib gezittert. Mir war speiübel. Ich will nicht sagen, es war, als hätte ich die beiden Dinge erlebt, denn das stimmt nicht. Ich habe die Vorfälle beide Male wiedererlebt. Und als ich es nicht mehr aushallen konnte, bin ich mit einem Sprung in mein jetziges Leben zurückgekehrt. Für mich war das ein Sprung in die Zukunft. Ich hatte die Kraft, die Zeit zu überspringen. Mein Sprung in die Vergangenheit war nicht unvermittelt. Das Ereignis entfaltete sich langsam, wie das bei Erinnerungen der Fall ist. Am Ende bin ich schnell in die Zukunft gesprungen, das heißt in mein heutiges Leben.«
»Etwas in dir hat angefangen zusammenzubrechen, das ist sicher«, sagte er schließlich. »Es ist schon die ganze Zeit zusammengebrochen, hat sich aber jedesmal schnell selbst wieder repariert, wenn die Stützen nachgaben. Ich habe das Gefühl, daß es jetzt völlig zusammenbricht.«
Nach einem langen Schweigen erklärte Don Juan, daß die Zauberer im alten Mexiko glaubten, daß wir, wie er mir bereits gesagt hatte, zwei Bewusstseine haben und nur eines davon wirklich unser Bewusstsein ist. Ich hatte Don Juan immer so verstanden, daß unser Bewusstsein zwei Teile habe und daß ein Teil immer stumm
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