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Das Wirken der Unendlichkeit

Das Wirken der Unendlichkeit

Titel: Das Wirken der Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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Unendlichkeit, gleichzeitig wollen wir
    aber auch vor ihr davonlaufen. Du willst mir sagen, du möchtest davonlaufen und dich in einen See stürzen, aber gleichzeitig fühlst du dich zum Bleiben gezwungen. Es wäre für dich unendlich leichter, wenn du nur zum Bleiben gezwungen wärst.«

 
Das Zusammenspiel der Energie am Horizont
    Die Klarheit des Öffnens gab meiner Rekapitulation neuen Schwung. Eine neue Stimmung verdrängte die alte. Ich begann, mich mit einer Klarheit an Ereignisse meines Lebens zu erinnern, die mich beinahe zum Wahnsinn trieb. Es war genau so, als sei in mir eine Barriere aufgerichtet gewesen, die mich starr an dürftige und unklare Erinnerungen fesselte und die der Öffner niedergerissen hatte. Vor diesem Ereignis war mein Erinnerungsvermögen eine vage Methode gewesen, auf Dinge y,u verweisen, die geschehen waren, die ich aber meist vergessen wollte. Im Grunde genommen war ich überhaupt nicht daran interessiert, mich an irgend etwas in meinem Leben zu erinnern. Deshalb sah ich eigentlich keinen Sinn in der nutzlosen Übung des Rekapitulierens, die mir Don Juan praktisch aufgezwungen hatte. Trotzdem hatte ich pflichtbewusst eine Liste von Leuten zusammengestellt und mich aufs Geratewohl bemüht, mich quasi an meine Interaktionen mit ihnen zu erinnern. Daß es mir nicht gelang, diese Leute klar und deutlich vor mir zu sehen, hielt mich nicht davon ab. Ich erfüllte, was ich als meine Pflicht betrachtete, ganz gleich, was ich davon hielt. Mit der Übung nahm die Klarheit meiner Erinnerungen, wie ich fand, bemerkenswert zu. Ich konnte auf bestimmte, ausgewählte Ereignisse mit einer Deutlichkeit und Schärfe sozusagen eingehen, die gleichzeitig erschreckend und lohnend war. Doch nachdem mich Don Juan mit dem Konzept des Öffnens bekannt gemacht hatte, wurde mein Erinnerungsvermögen zu etwas, für das ich keinen Namen hatte.
    Das Einhalten der Abfolge meiner Liste von Leuten machte die Rekapitulation sehr methodisch und zwingend, so wie Don Juan es wollte. Doch von Zeit zu Zeit befreite sich etwas in mir von der Methode und zwang mich, an Ereignisse zu denken, die nichts mit meiner Liste zu tun hatten. Die Klarheit dieser Ereignisse war so unglaublich, daß ich vielleicht mit größerer Intensität darin gefangen war und darin aufging als zu der Zeit, da ich die Dinge tatsächlich erlebt hatte. Jedesmal, wenn ich auf diese Weise rekapitulierte, geschah es mit einem Anflug von Unparteilichkeit, die mich Dinge sehen ließ, die ich nicht beachtet hatte, als ich mich wirklich mit den betreffenden Ereignissen herumschlug. Zum ersten Mal erschütterte mich die Erinnerung an ein Ereignis bis in die Grundfesten nach einem Vortrag, den ich an einem College in Oregon gehalten hatte. Die Studenten, die den Vortrag organisiert hatten, brachten mich und einen anderen Anthropologen, einen Freund von mir, zu einem Haus, in dem wir übernachten sollten. Ursprünglich wollte ich in ein Motel gehen, doch die Studenten bestanden darauf, uns zu dem Haus zu bringen, damit wir es bequemer hätten. Sie sagten, es sei auf dem Land, und dort gebe es keinen Lärm. Es sei der ruhigste Platz, den man sich denken könne, ohne Telefon und ohne jede Störung von außen. Dumm wie ich war, erklärte ich mich bereit, mit ihnen zu gehen. Don Juan hatte mich nicht nur ermahnt, immer für mich allein zu bleiben, sondern er hatte darauf bestanden, daß ich mich auch daran hielt. Meist tat ich das auch, doch es gab Gelegenheiten, in denen das gesellige Wesen in mir die Oberhand gewann.
    Die Studenten fuhren mit uns weit aus Portland hinaus zum Haus eines Professors, der ein Studienjahr hatte. Bei unserem Eintreffen schalteten sie sofort die Lichter an. Das Haus stand auf einem Hügel und war von Scheinwerfern umgeben. Mit der aufwendigen Beleuchtung musste es auf zehn Kilometer im Umkreis sichtbar gewesen sein.
    Danach verabschiedeten sich die Mitglieder des Komitees und fuhren davon. Das überraschte mich, denn ich hatte geglaubt, sie würden bleiben und mit uns reden wollen. Das Haus war klein, aber sehr gut gebaut und bestand aus Holz mit einem tief herabgezogenen Dach, dessen Gebälk nicht verkleidet war. Es hatte ein sehr großes Wohnzimmer mit einer Empore, auf der sich das Schlafzimmer befand. Direkt darüber und unter dem First hing ein lebensgroßes Kruzifix an einem eigenartigen Drehscharnier, das in den Kopf der Figur geschraubt war. Die Scheinwerfer an der Wand waren auf das Kruzifix gerichtet. Es war sehr

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