Das Wispern der Angst: Thriller (German Edition)
lächelte entschuldigend.
Was war nur mit ihr los?
Lisa warf die nächste Karte auf den Tisch, und Minuten später war Jenna erneut an der Reihe. Kurzentschlossen griff sie erst nach ihrem Glas, trank einen Schluck, dann zog sie den Joker aus dem Kartenfächer – und erlitt vor Schreck einen Hus tenanfall. Der Joker blickte sie an, hasserfüllt, gleichzeitig mit einem Verlangen, das ihr den Atem abschnürte. Kaum bekam sie wieder Luft, schien ihr der bösartige Joker höhnisch zuzulächeln, und mit einem Mal wurde die Karte glühend heiß. Jenna fühlte die Hitze in ihren Fingerspitzen und ließ sie mit einem leisen Aufschrei fallen.
»Bisschen schreckhaft heute?«, kommentierte Nicholas süffisant und legte ihre Karte zu den anderen auf den Stapel.
Niemand sah, dass die Karte sich verändert hatte.
Niemand bemerkte den Brandgeruch, der von ihr ausging.
Jenna sah die anderen ungläubig an. War sie die Einzige, die hier wahrnahm, dass etwas Seltsames vor sich ging? Oder bildete sie sich das alles nur ein? »Mir reicht’s«, sagte sie unvermittelt und stand auf. »Ihr habt recht, ich sehe schon Gespenster. Macht ohne mich weiter, ja? Ich bin nicht mehr nüchtern genug.« Sie kippte den Rest Rotwein hinunter und ließ sich auf die Couch fallen, drehte sich zum Fenster und sah hinaus.
Doch die tanzenden Schneeflocken hatten auch keine Antwort auf die Frage, was das gerade gewesen war.
Jenna merkte, dass Anne sie verstohlen von der Seite musterte. Anne wusste aus langjähriger Erfahrung, dass es keinen Sinn hatte, in Jenna zu dringen, wenn diese sich mit etwas herumschlug. Jenna versuchte Probleme grundsätzlich allein zu lösen – erst wenn es gar nicht mehr anders ging, holte sie sich zähneknirschend Hilfe.
Die anderen spielten noch zwei kurze Runden durch, ließen Jenna ihren Gedanken nachhängen. Dann stand Lisa auf und gähnte. »Tut mir leid, aber ich muss ins Bett. Jenna, kommst du mit zur U-Bahn?«
»Klar. Ich bin auch todmüde.«
Im Flur band ihr Nicholas den Schal um den Hals und sah ihr nachdenklich in die Augen. »Viel Glück mit Kim. Ihr beide schafft das schon. Gute Nacht, Lisa.« Er umarmte beide herzlich und legte für einen Moment seine Stirn an Jennas. »Mach dir nicht zu viele Gedanken. Kommt gut nach Hause«, sagte er noch, dann nickte er beiden zu.
Jenna und Lisa hörten, wie hinter ihnen die schwere Tür ins Schloss fiel. Schweigend gingen sie nacheinander langsam die schmale, knarrende Holztreppe hinunter. Als sie die schwere Haustür aufzogen und auf die Straße traten, traf sie die kalte Luft wie ein Schlag. Jenna atmete tief ein. Die Luft brannte in ihren Lungen, aber sie war frisch und klar und vertrieb die merkwürdige Stimmung, in die sie die letzte Stunde versetzt hatte. Tief in Gedanken versunken, gingen die zwei Freundinnen nebeneinander durch die weiß verschneiten Straßen zum Goetheplatz.
»Ich fahre mit dir noch bis zum Odeonsplatz, dann nehme ich die U4«, erklärte Jenna, als sie nebeneinander auf der Rolltreppe standen. »O Mann, schon halb eins! Ich werde morgen als nachtwandelndes Gespenst in der Agentur erscheinen.«
Am Bahnsteig angekommen, fuhr auch schon mit lautem Zischen eine U-Bahn Richtung Norden ein. Außer ihnen stiegen noch zwei Leute zu, ansonsten war das Abteil leer. Jenna lehnte sich mit dem Rücken gegen eine Glastrennwand und schloss die Augen. Der Zug fuhr mit einem Ruck an.
Sie ließ ihr Haar wie eine Wand vors Gesicht fallen und schwieg. Am Odeonsplatz angekommen, umarmte sie rasch ihre Freundin und stieg aus. Sie wandte sich nach links zu dem unterirdischen Tunnel, der die zwei U-Bahn-Stränge miteinander verband. Um diese Zeit waren nur mehr wenige Leute unterwegs, das Klackern ihrer Stiefelabsätze hallte laut in dem von grellem Neonlicht erleuchteten Gang. Auf dem anderen Bahnsteig angekommen, setzte sie sich auf eine Bank. Es roch nach Erbrochenem und Bier. Noch sieben Minuten, dachte Jenna müde. Sie lehnte den Kopf an die Wand.
Eine Viertelstunde später schloss sie leise die Wohnungstür auf. Alles war dunkel. Leise zog sie Stiefel und Mantel aus, warf alles über einen Sessel im Flur und ging in Strümpfen in die Küche. Ein Glas Wasser stürzte sie noch im Stehen hinunter, mit einem weiteren in der Hand tappte sie ins Wohnzimmer. Ich sollte es besser wissen, dachte sie, während sie die kleine Lampe auf dem Couchtisch einschaltete und sich aufs Sofa sinken ließ.
Doch die innere Ruhe wollte sich nicht einstellen. Schließlich
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