Das Wispern der Angst: Thriller (German Edition)
hatten einen großen Topf Pasta verdrückt, begleitet von zwei Flaschen Merlot. Die Spaghetti hätte man sich, wie Anne befand, »zu dieser Stunde gleich auf die Hüften klatschen können«, und was den Wein betraf, so wurde die dritte Flasche geköpft, bevor das erste Spiel begonnen hatte. Die Spieleabende waren seit langen Jahren eine viel geliebte Tradition im Hause der Wrights. Sie machten stets furchtbar hungrig. Und noch durstiger. Der Kater kam regelmäßig am nächsten Tag.
Anne, die Gastgeberin, war Jennas älteste Freundin. Sie kannten sich aus der Schule, hatten die unmöglichsten Streiche ausgeheckt, dieselben Jungs geküsst und waren gleichermaßen an den anderen gescheitert. Aber das war lange her. Annes Mann Nicholas, der gut fünfzehn Jahre älter war als sie, kam aus England, was den Vorteil hatte, dass man ihn über bestimmte Teile des pubertären Vorlebens im Unklaren lassen konnte. Nun bewohnte das Ehepaar ein großes Appartement in der Nähe des Goetheplatzes – vier Meter hoher Altbau mit Stuckdecken – ein Traum für jeden Edelarchitekten.
Doch wer die Wohnung zum ersten Mal betrat, der wurde überrascht. Anne und Nicholas Wright waren beide leidenschaftliche Büchersammler. Jede, wirklich jede Wand war gesäumt von deckenhohen Regalen. Es mussten Tausende Bände sein, Jahrhunderte voller Wissen, Millionen Seiten voller Geschichten, die oft immer noch darauf warteten, entdeckt zu werden.
Im Laufe der letzten zehn Jahre hatten sich die Wrights in Sammlerkreisen einen Namen erworben. Eines ihrer Spezialgebiete war Reise- und Entdeckerliteratur. Tagebücher, Forschungsberichte, botanische und militärische Exkursionen auf allen Kontinenten. Nicholas, der früher viel gereist war, ließ sich von allem faszinieren, was sein Weltbild zu sprengen drohte, und so las er sich abende- und nächtelang durch die Fach- und Sachliteratur und würde wohl bis an sein Lebensende damit zu tun haben. Anne fand nichts dabei. So war ihr Mann wenigstens zu Hause und kam nicht auf dumme Gedanken.
Sie dagegen war hauptberuflich Architektin und hatte daher mehrere Regalmeter mit Bildbänden und Fachbüchern über Städtearchitektur gefüllt.
Ihr Wohnzimmer bestand aus einer gemütlichen Sitzgruppe, dem Kamin zugewandt, ein paar einzelnen Sesseln und den obligatorischen Bücherwänden.
Lisa und Jenna hatten es sich nach dem Essen auf einem der einladenden Sofas bequem gemacht, hielten sich an einem Glas Wein fest und unterhielten sich. Das Feuer knisterte und verbreitete eine angenehme Wärme.
»Wir sind gleich wieder bei euch!«, rief Anne aus der Küche. »Mag jemand einen Kaffee?«
Lisa und Jenna sahen sich an und schüttelten gleichzeitig die Köpfe. »Nein, danke, Ännchen«, rief Lisa zurück, »uns geht’s gut so weit. Wir warten.«
Die große Standuhr in der Ecke schlug halb elf. Jenna drehte nachdenklich ihr Glas Wein in den Händen und starrte in die Flammen. Ein dickes Scheit war von Flammen umhüllt und glühte nun von innen rot. Immer wieder flackerte es an einer anderen Stelle auf, das Feuer fraß sich durch das Holz, und machte daraus ein Kunstwerk, das sich jeden Augenblick änderte. Funken stoben durch die Brennkammer, als ein Luftzug von unten in den Kamin fuhr.
»… Jenna? … Jenna? Erde an Jenna, hörst du mich?«
Jenna zuckte zusammen. »Was? Oh … entschuldige, ich war in Gedanken.«
»Woran denkst du? Dass du vorhin haushoch verloren hast?« Lisa klang amüsiert.
Jenna grinste schwach. »Nein. Aber Gott sei Dank haben wir heute nicht Therapy gespielt. Wenn ihr mich heute analysiert hättet, wäre ich morgen wahrscheinlich zum Psychiater gegangen. Ein simples Siedler von Catan war genau richtig.«
»Aber du warst den ganzen Abend woanders, Jenna. Nicht bei der Sache. Was ist denn los? Hast du Ärger mit Alex?«
»Mit Kim, eigentlich«, seufzte Jenna. »Aber seit heute Nachmittag bin ich mir da nicht mehr so sicher.«
Anne und Nicholas kamen ins Wohnzimmer zurück, setzten sich auf die andere Seite der Couch und hörten zu.
»Ich war heute bei ihrer Lehrerin«, begann Jenna. Sie berichtete von dem Gespräch und erntete am Schluss mitleidige Blicke. »Ich hätte der Kuh fast eine geknallt. Wie kann man mit einer solchen Einstellung auf Kinder losgelassen werden? Na, wenigstens hatte ich heute eine Erkenntnis: Kim ist an unseren Streitereien nicht alleine schuld. Ich bin zurzeit nicht ganz ich selbst.« Sie schaute versonnen in ihr Glas. »Irgendwie habe ich mich vor einiger
Weitere Kostenlose Bücher