Das Wispern der Angst: Thriller (German Edition)
»Sitz, Timmy«, kommandierte diese und hielt ihn am Halsband fest, bevor er auf die Straße hinausjagen konnte.
Jenna atmete vor Erleichterung durch. Sie hatte vor ihrem inneren Auge schon Frau, Kind und Hund unter dem Lieferwagen verschwinden sehen. Doch kaum hatte sie diesen Gedanken zu Ende gedacht, wurden ihr die Knie weich. Sie lehnte sich gegen die nächste Hauswand und rang nach Luft.
Das gibt’s doch nicht, dachte sie beklommen. Sie kannte die Frau ja nicht einmal. Woher wusste sie, dass die Frau einen Hund besaß – und auch noch, wie er hieß? Jenna hob ihre Hände vors Gesicht und sah, dass sie zitterten. Schnell ver steckte sie sie in den Manteltaschen. Ihr Herz hämmerte, und kleine Punkte tanzten vor ihren Augen.
»Erst die Sache mit den Karten, jetzt das. Als Nächstes starre ich noch in eine Kristallkugel und sage meinen Klienten ihren Todestag voraus«, murmelte sie und versuchte, die aufkommende Panik zu unterdrücken.
Der Lieferwagen rutschte mehr als er fuhr, die durchdrehen den Reifen spritzten den Schneematsch hoch. Die Frau hielt ihren Hund immer noch fest gepackt. Sie rief zu Jenna hinüber: »Danke! Den Irren habe ich hier schon öfter gesehen. Es ist ein Wunder, dass er noch nie jemanden umgefahren hat.« Dann drehte sie sich um, schaute mehrfach links und rechts und betrat mit Kinderwagen und Hund die Straße.
Jenna riss sich mühsam aus ihrer Erstarrung. Die Kälte drang durch ihre Kleidung, lähmte sie. Verstohlen blickte sie sich um. Alles war wie sonst auch. Zwei alte Frauen kamen schwer bepackt aus dem benachbarten Drogeriemarkt, der Fahrer eines großen Passats versuchte zwischen zwei Schneehaufen einzuparken, die junge Frau erreichte unbehelligt die andere Straßenseite.
Langsam stieß sich Jenna von der Hauswand ab und setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Erst als sie vor der Tür stand, stellte sie fest, dass sie zurück zur Agentur gelaufen war, statt weiter in Richtung Eisenwarenhandlung. Sie nahm den Aufzug, den sie normalerweise mied, und ging unsicher in ihr Büro. Dort ließ sie sich auf das kleine Ledersofa sinken, das an der linken Wand stand, und starrte aus dem Fenster.
Die Wolkendecke, die seit Tagen über der Stadt schwebte und für Unmengen Schnee gesorgt hatte, schien in diesem Moment tiefer zu sinken, als wolle sie die Häuser einhüllen wie ein undurchdringliches Tuch.
»Was hältst du von ihm?«, stand auf dem Zettel, den Simone unauffällig ihrer Banknachbarin hinüberschob und dabei unschuldig in Richtung Lehrerin lächelte.
Kim lächelte gequält. Sie war nicht in der Stimmung für nette Zettelchen, malte lediglich ein Fragezeichen und schob das Papier zu Simone zurück. Es war kurz vor elf und die vierte erbärmlich langweilige Stunde – Mathe bei Dr. Berger. Rund zwanzig Jungen und Mädchen saßen in vier Reihen vor dem Lehrerpult, mindestens die Hälfte von ihnen schaute leicht verzweifelt. Das trübe Februarlicht, das die große Fensterfront hereinließ, erhellte kaum den Raum, die Neonröhren an der Decke verliehen allen Gesichtern einen fahlgelben, ungesunden Glanz. Kims Gesicht war hingegen totenblass, ihre Augen glänzten fiebrig, und sie hatte sich einen zweiten Pulli um die Schultern gelegt, als würde sie frieren.
Dr. Berger hatte Kim gegenüber mit keinem Wort das Gespräch mit Jenna erwähnt, ihre Blicke folgten ihr aber unablässig, und selbst in den Pausen hatte Kim den Eindruck, dass ihre Lehrerin immer wieder an ihr vorbeiging und sie von der Seite heimlich musterte. Obwohl Kim mit Jennas Erziehungstaktik derzeit weniger als gar nicht einverstanden war, hatte sie gelacht, als Alex ihr den Ablauf des Gesprächs mit Dr. Berger ge schildert hatte. Es war einer dieser Momente gewesen, in denen Kim ihre Mutter bewunderte, und es hatte sich angefühlt wie früher – ein Komplott zwischen zwei Freundinnen, eine Verschwörung gegen den Rest der Welt.
Das Abendessen mit ihrem Vater hatte Kim auf andere Gedanken gebracht. Sie war für ein paar Stunden ihrem Alltag entronnen, und das tat gut. Dazu kam, dass Alex für vieles Verständnis zeigte, das Jenna an die Decke gehen ließ. Ihr Vater liebte sie über alles, daran gab es keinen Zweifel. Und doch …Kim seufzte innerlich. Auch er hatte nicht erkannt, dass sie mehr auf dem Herzen hatte als schlechte Noten. Dass es ihr nicht gut ging.
Sie waren sich an einem der gemütlichen Tische mit den rot-weiß-karierten Leinendecken gegenübergesessen. Das kleine Restaurant war
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