Das Wispern der Angst: Thriller (German Edition)
unterwegs. Fehlt nur noch der Fahrer mit Hut.«
»Du denkst zu sehr in Klischees, meine Liebe«, stichelte Rainer. »Wir haben es doch nicht eilig.«
»Du vielleicht nicht, aber ich«, gab Jenna zurück. »Es ist Samstag, du hast was von einem kurzen Treffen mit Meier-Westphal gemurmelt, und jetzt? Es ist schon drei, und ich habe Kim versprochen, für sie und ihre Freunde zu kochen.«
»Redet Kim denn wieder mit dir?«, fragte Rainer neugierig, der das momentan schwierige Verhältnis seiner Grafikerin zu ihrer Tochter zumindest in Grundzügen kannte.
Jenna seufzte. »Was heißt schon reden? Ich hab ihr Ausgehverbot erteilt und zwinge sie zum Lernen. Heute will sie mit Simone und diesem neuen Austauschschüler Vokabeln pauken. Bei uns. Und weil ich diese Anflüge von Lerneifer unterstütze, habe ich angeboten zu kochen.«
»Redet sie wieder mit dir, wollte ich wissen.«
»Sie schaut mich wieder an«, gab Jenna nachdenklich zurück. »Aber sie hat irgendwas. Ein Problem. Ich habe Alex gestern schon deswegen angerufen. Vielleicht kriegt er es aus ihr heraus.«
Auf dem Mittleren Ring war wie immer um diese Zeit die Hölle los, und sie musste sich auf den Verkehr konzentrieren. Nach der Donnersbergerbrücke bog Jenna auf die Lands berger Straße in Richtung Innenstadt. Großartig – jetzt ging es nur noch im Schritttempo voran! Jenna fluchte still. Der ganz normale Samstag-Nachmittag-Wahnsinn. Und das Trommeln auf dem Lenkrad half auch nicht wirklich, die Kolonnen aufzulösen …
Das Treffen im Hotel am Olympiapark war lang und anstrengend gewesen. Rainer, immer auf der Suche nach neuen Kunden, hatte einen Filmproduzenten aus Berlin an Land gezogen. Genauer gesagt, einen Trickfilmproduzenten. Und da er die heimliche Leidenschaft seiner Grafikerin kannte, hatte er ihr angeboten, bei dem Gespräch dabei zu sein. Jenna hatte die Diskussion mit guten Ideen bereichert, konstruktive Vorschläge eingebracht und würde ihren Teil zum Gelingen des Projekts beitragen, das musste sich Rainer neidlos eingestehen.
»Wo fährst du denn hin?«, fragte er einige Minuten später irritiert, als Jenna unvermittelt an einer Ampel abbog.
»Ich nehm die kleinen Straßen. Ich habe es satt, nur im Stau zu stehen!« Jenna beschleunigte haarscharf an einer Reihe parkender Autos vorbei. »Hier ist es zwar enger, aber man fährt immerhin.«
»Von mir aus. Aber denk bitte dran, das ist mein Auto, ja?«
Als sein Handy klingelte, tastete Rainer ergebnislos in seinem Jackett herum, bevor er nach unten zu seiner Aktentasche griff, die er im Fußraum vor sich abgestellt hatte. »Jetzt hab ich es einmal nicht in Reichweite und dann breche ich mir die Rippen, um da runterzukommen«, ächzte er.
»Du bist doch fit«, kommentierte Jenna amüsiert und steuerte entschlossen auf eine Kreuzung zu. Vor ihr fuhr ein blauer Golf und überholte gerade einen Fahrradfahrer mit neongelbem Helm, der zwischen Gehsteig und Fahrbahn wechselte und versuchte, nur keine Lücke zu verpassen.
Jenna blinzelte. »Das gibt’s doch nicht!«, entfuhr es ihr unvermittelt.
Rainer schaute irritiert zu ihr hinüber. Das Handy klingelte immer noch. »Hm?«, meinte er und kramte weiter in seiner Tasche.
Jenna zwinkerte erneut. Ihr war, als wäre sie diese Strecke erst vor Kurzem gefahren, mit genau dem gleichen Golf vor ihr und genau dem gleichen Radfahrer daneben. Und etwas an dieser Vorstellung ließ sie schaudern. Gleichzeitig wusste sie, dass dies völlig unmöglich war! Sie war schon seit Ewigkeiten hier nicht mehr mit dem Auto unterwegs gewesen …
Sie ignorierte das Kribbeln im Nacken, das sie immer dann befiel, wenn sie auf eine mittlere Katastrophe zusteuerte, und fuhr entschlossen weiter. Das Déjà-vu erwies sich jedoch als hartnäckig. Wie in Zeitlupe sprang die Ampel vor ihr wie er wartet auf Grün. Der Golffahrer, der nur kurz abgebremst hatte, gab heftig Gas. Jenna beschleunigte ebenfalls. Und der Radfahrer? Der schwenkte ohne Vorwarnung vor dem blauen Golf plötzlich auf die Mitte der Straße.
Jenna schrie auf. »Was macht der Idiot denn da? Der sieht doch, dass das nicht gut geht!«
Vor ihr leuchteten die Bremslichter des Golfs auf – »Rainer, pass auf!« –, der Radfahrer wurde durch die Luft geschleudert, Metall schrammte ohrenbetäubend auf Metall, ein fürchterlicher Stoß, dann Stille.
Als Jenna wieder zu sich kam, hörte sie ein leises, keuchendes Schluchzen. Seltsam, es kam aus ihrer Kehle. Sie kniff die Augen fest zusammen. Was war
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