Das Wispern der Angst: Thriller (German Edition)
bunte Punkte tanzen. Die bohrenden Kopfschmerzen, die sie plagten, machten keine An stalten zu verschwinden.
Seit Wochen hatte sie das Gefühl, in Treibsand zu stecken und langsam zu versinken.
Seit Wochen quälten sie unbeschreibliche Kopfschmerzen. Und das war noch nicht alles.
Sie war nicht mehr in der Lage, sich zu konzentrieren, geschweige denn zu lernen, und langsam nahm das alles bedrohliche Ausmaße an. Ich muss mit jemandem darüber reden, dachte sie zum hundertsten Mal, doch wer um alles in der Welt wird mir glauben? Ich glaube es ja selber nicht … Die weisen mich glatt ein, schicken mich in die Klapse … Ohne dass sie es verhindern konnte, traten ihr Tränen der Verzweiflung in die Augen.
Plötzlich spürte sie zwei kühle Hände an ihren Schläfen. Mit leichtem Druck strichen sie über ihre Stirn, an den Schläfen entlang bis zu ihren Wangenknochen, dann wieder zurück und bis zum Scheitel. Kim wollte auffahren – was Matthew da tat, überschritt ganz eindeutig die Grenzen –, doch sie hatte heute keine Kraft mehr. Ganz im Gegenteil, sie seufzte leise auf, als er die Massage fortsetzte. Der Druck auf ihren Schläfen ließ nach, und sie merkte, wie sich der eiserne Ring um ihren Kopf lockerte.
Nach einigen Minuten zog Matthew langsam seine Hände zurück und setzte sich wieder in seinen Sessel. »Besser?«, fragte er leise.
Kim schlug die Augen auf. Die Farben, die sie wahrnahm, erschienen ihr wieder leuchtender, die Konturen um sie herum klarer. »Ja. Danke.«
»No Problem.«
»Wieso tust du das? Du kennst mich doch gar nicht.«
»Ist das wichtig?«
Kim sah ihn stirnrunzelnd an, doch Matthews Lächeln war ohne Hintergedanken. Unwillkürlich musste sie zurücklächeln. »Wahrscheinlich nicht.« Versuchsweise drehte sie ihren Kopf nach links und rechts, legte ihn dann in den Nacken und schaute zur Decke. »Mir geht’s wirklich besser«, stellte sie überrascht fest.
Matthew beugte sich vor, stützte die Ellenbogen auf die Knie und schaute Kim interessiert an. »Du bist nett, wenn es dir gut geht«, sagte er unvermittelt.
Kim sah leicht verlegen an ihm vorbei aus dem Fenster, verspeiste ihren Windbeutel und war grenzenlos erleichtert, zumindest für den Moment von den Kopfschmerzen befreit zu sein. Ein paar Minuten verharrten sie in Schweigen, dann kam Maria an den Tisch und unterbrach ihre Gedanken.
»Ihr habt gleich wieder Schule, Kim.«
»Danke, Maria«, sagte Kim und fügte hinzu: »Ich habe heute nur noch Deutsch, das schenke ich mir. Aber ich muss trotzdem gehen.« Sie zog ihren Geldbeutel aus der Tasche und legte ein paar Münzen auf den Tisch. Dann schlüpfte sie in ihren roten Parka, wickelte sich einen zwei Meter langen Schal um den Hals und zog Fäustlinge über.
»Warte, ich komme mit«, sagte Matthew und zahlte ebenfalls. Gemeinsam gingen sie zur Tür.
»Zur Schule geht’s da lang«, sagte Kim draußen und deutete nach links.
»Und wo gehst du hin?«
»Ich habe doch gesagt, dass ich mir Deutsch schenke. Soll heißen, ich schwänze. Wenn du Simone siehst, sag ihr doch, dass ich nach Hause gegangen bin, ja?« Kim fröstelte. »Bis morgen. Und danke noch mal. Vielleicht können wir mal wieder einen Kaffee trinken? Ich war nicht sehr höflich heute, sorry.«
Sie wartete Matthews Antwort nicht ab, sondern zog sich die Kapuze tief in die Stirn und marschierte Richtung U-Bahn. Es war kälter geworden, der schneidende Wind schien direkt vom Nordpol zu kommen.
Matthew starrte Kim nachdenklich hinterher, dann folgte er ihr langsam.
Wie schon in der ganzen letzten Woche.
Als Jenna nach Hause kam, dämmerte es bereits. Im Flur war es dunkel, auch sonst brannte in der ganzen Wohnung kein Licht.
»Kim? Kim? Bist du da?«, rief sie halblaut, während sie den Mantel auszog und die Stiefel von den Füßen streifte. Sie tappte durch die Wohnung auf der Suche nach ihren Hausschuhen und klopfte nebenbei an Kims Zimmertür.
»Ich bin hier, Mam«, kam es leise aus dem Wohnzimmer.
»Kim? Du lieber Himmel, warum sitzt du hier im Dunkeln?« Jenna knipste die Stehlampe an und entdeckte ihre Tochter, die auf dem Sofa saß, eine Decke über sich gezogen hatte und ins Leere starrte.
»Nur so. Bisschen Kopfweh«, erklärte Kim und kniff die Augen zusammen, als würde sie durch die Lampe geblendet.
»Hast du deine Tage?«, fragte Jenna mitfühlend. Sie wusste, dass Kim einmal im Monat von grässlichen Krämpfen geplagt wurde.
Kim winkte ab. »Nein. Ich weiß auch nicht.
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