Das Wispern der Angst: Thriller (German Edition)
gab Rainer entschlossen zurück. »Ich meine es ernst, Jenna. Vielleicht liegt es daran, dass ich – wir – gerade unverschämtes Glück gehabt haben. Ich habe das sprichwörtliche Licht am Ende des Tunnels leuchten sehen, Jenna. Und ich bin sicher, dass ihr mit Kim nicht so lange warten solltet. Bitte. Tu etwas!« Rainers Anspannung war fast mit Händen greifbar.
»Okay, okay. Vielleicht hast du recht. Ich … ich werde mir was einfallen lassen.«
»Ist gut. Viel Glück, Jenna.«
»Pass auf dich auf.«
Jenna legte auf und blieb frustriert auf dem Sofa sitzen. Rainer hatte gut reden. Sie sollte Kim nicht zu viel Zeit lassen. Ja, wie denn, zum Henker?
Die Lust auf weitere Serienromantik war ihr vergangen. Sie ging in die Küche, machte sich einen Tee und trat mit der Tasse an die Balkontür. Die zwei Spatzen saßen wieder auf der Linde und tschilpten vorwurfsvoll. Von den Meisenknödeln war fast nichts mehr übrig.
»Demnächst ist wieder Frühling, dann könnt ihr selber Körner suchen gehen«, winkte Jenna ab. »Und eines sag ich euch: Ich hänge mich nicht mehr von diesem Balkon raus. Nächsten Winter finden wir eine andere Lösung.«
In diesem Moment hörte sie die Wohnungstür zuschlagen. Kim kam herein, streifte achtlos die Stiefel von den Füßen und schälte sich aus ihrem Parka.
»Hallo, Mam«, sagte sie und warf einen Blick ins Wohnzimmer. Auf dem Sofa waren noch die Reste von Jennas Videosession zu erkennen. »Die ganze Staffel gesehen?«
»Knapp die Hälfte«, gab Jenna zu und nahm sie kurz in die Arme. »Eine ganze Staffel halte selbst ich nicht aus. Wie geht’s dir? Wie war die Trauerfeier?«
Kim entzog sich der Umarmung. »Die Berger hat echt einen Knall. Aber sonst war es okay. Ich muss noch Hausaufgaben machen«, fügte sie hinzu. »Ach, und kann ich heute Abend zu Matthew? Er hilft mir in Bio und Chemie, dafür bring ich ihm Mathe bei.«
Jenna schaute ihre Tochter verblüfft an. »Nein, das kannst du nicht. Du hast immer noch Hausarrest. Wenn Matthew vorbeikommen möchte – gern. Aber du bleibst abends hier. Das war so vereinbart.«
»Komm schon, Mam, bitte. Nur diesen Abend.«
»Weißt du noch? Heißt nein heißt nein, hast du als kleines Kind immer gesagt. Das gilt immer noch.« Der Versuch, die Ablehnung in Watte zu verpacken, misslang kläglich.
Kims Augen begannen zu funkeln, ihre Lippen pressten sich zu einem schmalen roten Strich zusammen. »Schön. Dann eben nicht.« Sie marschierte in Socken zu ihrem Zimmer, gleich darauf knallte die Tür.
Jenna schaute ihr stirnrunzelnd nach. Auch wenn es ihr nicht gefiel, wenigstens hatte Kim wieder irgendeine Reaktion gezeigt. Zugegeben, sie hätte anders ausfallen dürfen. Sie schaute auf die Uhr, die im Flur an der Wand hing. Halb vier. Sie hatte das Gefühl, es würde mit ihrer Tochter kein gemütlicher Abend werden. Nun ja.
Jenna machte sich eine neue Tasse Tee und ging zurück ins Wohnzimmer, räumte Schokolade und DVD -Hüllen weg, knipste die Stehlampe an und machte es sich wieder auf dem Sofa bequem, diesmal mit einem Roman. Vielleicht kann ich nachher Kim mit einer Portion Sushi wieder aufheitern, dachte sie etwas später, bevor ihr das Buch aus den Händen glitt und sie einschlief.
Es war stockdunkel draußen, als sie wieder erwachte. Nur der Vollmond, umgeben von einem großen Hof, schien bleich durchs Fenster herein. Mit einem Ruck kam sie in die Gegenwart zurück, setzte sich auf und blickte verwirrt um sich. Die Stehlampe spendete ein wenig Licht, in der Wohnung über ihr hörte sie den Fernseher dröhnen.
Jenna schwang die Beine vom Sofa, versuchte aufzustehen und fiel fast über ihre eigenen Füße. Stirnrunzelnd sah sie an sich herab und entdeckte die Wolldecke, die sich wie eine Schlinge um ihre Beine gelegt hatte. Ich weiß schon, warum ich Mittagsschlaf nicht ausstehen kann, dachte sie verärgert, da brauche ich Stunden, um wieder wach zu werden.
Im Flur war es dunkel. »Kim!«, rief sie halblaut.
Keine Antwort.
»Kim!«, wiederholte sie etwas lauter, befreite sich aus der Decke und ging zum Zimmer ihrer Tochter. Nach einem kurzen Anklopfen öffnete sie die Tür.
Alles war dunkel, Kim nirgends zu sehen.
Das gibt’s doch nicht, dachte Jenna ärgerlich und schlug auf den Lichtschalter. Wo war sie bloß? Die Flurbeleuchtung flammte auf, und sie warf im Vorbeigehen wieder einen Blick auf die Uhr. Halb neun? Das konnte doch nicht wahr sein! Sie hatte über vier Stunden geschlafen. Kein Wunder, dass sie so
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