Das Wispern der Angst: Thriller (German Edition)
es einfach nicht fassen. Ich hoffe immer noch, dass das ein Albtraum ist und ich gleich aufwache.«
»Kannst du vergessen«, seufzte Nicholas und schluckte hörbar. »Jenna, ich habe eine Bitte. Annes Eltern kommen hierher, nach London, sie nehmen nachher den Flieger um elf ab München. Kannst du ihnen ein paar Sachen von Anne bringen? Du weißt schon. Ihre Eltern haben keinen Schlüssel zu unserer Wohnung. Du hast ihn doch noch?«
Jenna nickte, obwohl Nick das nicht sehen konnte. »Ja, natürlich. Oh, Nick, es tut mir so leid.« Sie setzte zu einer Erklärung an, wollte Nicholas von dem Video erzählen und tat es doch nicht. »Ich fahre nachher gleich rüber zu euch und dann zum Flughafen.«
»Danke«, sagte Nicholas erleichtert. »Das ist eine große Hilfe. Ich muss jetzt aufhören – aber ich halte dich auf dem Laufenden, okay?«
»Ist gut«, gab Jenna leise zurück. Dann fiel sie zurück auf den Stuhl und stützte ihren Kopf in die Hände. Verzweiflung machte sich in ihr breit. Was immer sie auch unternahm, es wurde nur noch schlimmer. Eine Spirale der Gewalt drehte sich und war nicht zu stoppen. Der Tod schien neben ihr zu gehen, sie zu begleiten. Sie und Kim und Anne.
Und immer wieder schlug er zu.
Jenna taumelte hoch, machte sich mit zitternden Fingern einen neuen Kaffee, tat einen Löffel Zucker hinzu, suchte einen Moment im Schrank, fand eine schmale, hohe Flasche und kippte entschlossen einen doppelten Grappa in den Kaffee.
Dann schüttete sie das Gebräu in einem Zug hinunter. Es brannte wie Feuer.
Es war kurz nach halb sieben, als Jenna aus der Dusche trat und sich erschreckt im Spiegel ansah. Sie sah aus wie nach einer verlorenen Schlacht. Tiefe Ringe unter den Augen, blau und grün geschundener Oberkörper. Das war der Moment, als sie beschloss, nicht aufzugeben, sondern zu kämpfen. Die Grundzüge eines Plans formten sich, zuerst noch verschwommen und skizzenhaft, dann immer deutlicher.
Jenna ging ins Schlafzimmer, knipste die Stehleuchte in der Ecke an und griff nach Jeans und Sweatshirt. Ihre langen Haare waren noch feucht und tropften auf Kims Wange, als sie sich über ihre Tochter beugte. Kim war tatsächlich noch einmal eingeschlafen.
»Kim, wach auf.«
»Mhm …«, brummte Kim. »Will noch schlafen.« Sie drehte sich vom Licht weg.
»Komm schon!« Jenna rüttelte sie leicht an der Schulter. »Wie geht’s dir?«
Kim öffnete blinzelnd die Augen, wischte sich übers Gesicht und richtete sich verschlafen auf. »Iih, du machst mich ganz nass, Mam«, meinte sie und schob Jenna weg. Dann schlang sie die Arme um die Knie und sah ihre Mutter an. »Es tut mir leid. Wegen gestern Abend. Ich weiß ehrlich nicht, was eigentlich passiert ist.«
»Was auch immer es war, es betrifft nicht nur dich. So viel ist sicher«, gab Jenna zurück und setzte sich neben sie. Sie griff nach Kims Hand. »Aber bevor wir darüber reden, muss ich dir was erzählen.« Sie berichtete von Nicholas’ Anruf. Das Video ließ sie erneut unerwähnt. Kim würde durchdrehen, wenn sie das sah. Jenna würde es später Nicholas zeigen. Aber Kim – das konnte sie ihr nicht antun. Es war so schon schlimm genug.
Kim lauschte ihr mit wachsendem Entsetzen. »O Gott«, flüsterte sie dann. »Das ist ja grauenhaft. Arme Anne!«
»Ja, das ist es. Und ich glaube, Anne kann überhaupt nichts dafür. Aber …«, und jetzt sah Jenna ihre Tochter eindringlich an, »es hat etwas mit uns beiden zu tun, da bin ich mir sicher. Die Sache gestern und der Anschlag auf Anne, der Tod von Carolin und mein Unfall – das alles gehört zusammen. Ich weiß nicht warum, aber hier geht es um dich. Und um mich. Um uns zwei, Kim! All diese Ereignisse können keine Zufälle sein. Das ist mir vorhin unter der Dusche klar geworden.«
»Wieso? Und was hat Anne mit uns zu tun?«
»Ich weiß es noch nicht genau, aber ich habe das Gefühl, jemand will uns – mich – damit treffen. Anne ist meine beste Freundin. Aber du und ich sind es, um die es geht.«
Kim zog mit verängstigtem Gesichtsausdruck die Decke fester um sich. »Wieso ausgerechnet ich? Ich will das alles gar nicht!«
»Was genau willst du nicht?«, hakte Jenna nach. »Komm, spuck’s aus. Jetzt!«
Diesmal duldete ihr Ton keinen Widerspruch, sie würde nicht einen Millimeter nachgeben. Kim antwortete zu ihrer und Jennas Überraschung ohne Zögern. »Ich krieg Botschaften. Ich hör Stimmen. Aus dem Jenseits. So, jetzt hab ich’s gesagt. Jetzt kannst du die Klapse anrufen.« Trotzig
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