Das Wispern der Angst: Thriller (German Edition)
verschlug es für einen Moment die Sprache. Dann sagte sie kopfschüttelnd: »Das ist wirklich die dämlichste Erklärung, die ich seit Langem gehört habe.« Sie bugsierte den Fiat in eine gerade frei gewordene Parklücke und stellte den Motor ab.
»Ach ja? Mam, du hättest mich eingewiesen. Und überhaupt, was sollte das vorher heißen, dass es dich auch betrifft? Woher wusstest du also, wie du mich findest? Was hast du eigentlich damit zu tun?« Kim wurde laut. Sie löste ihren Gurt und ließ ihn wütend in die Halterung zurückschnellen.
»Punkt für dich«, sagte Jenna und griff nach Kims Hand, doch diese zog ihre mit einem Ruck wieder weg. »Ich erzähl’s dir. Und glaub mir, es ist mindestens so verrückt wie deine Geschichte.« Dann berichtete Jenna von dem Abend bei Anne und Nicholas, ihrem Unfall, von den wiederkehrenden Albträumen. Und sie durchlebte den gestrigen Abend erneut, roch den modrigen Geruch und sah den Mann mit der Hakennase und dem dunklen Umhang wieder vor sich.
»Ich hab diesen Mann in meinen Träumen gesehen«, meinte sie leise. »Er war irgendwo gefangen und wollte, dass ich ihn befreie. Anscheinend hast aber du die sprichwörtliche Hand vor mir ausgestreckt, Kim. So habe ich gestern deine Angst gespürt, und das hat mich zu dir geführt.«
Sie fröstelte und ließ die Worte in der Luft nachklingen.
Kim war immer blasser geworden. »Was ist dieser Typ eigent lich?«, fragte sie, und Jenna bemerkte sehr wohl, dass ihre Frage was und nicht wer gelautet hatte. »Und wo ist er jetzt?«
Jenna zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung, ehrlich. Ich bin froh, wenn er uns nie wieder über den Weg läuft. Lass uns lieber herausfinden, was das alles bedeutet, Kim. Sonst drehen wir beide durch, und es sterben noch mehr Menschen. Solange ich noch nicht weiß, warum das hier alles passiert, redest du mit niemandem darüber, okay? Ich will nicht, dass wir noch jemanden in Gefahr bringen. Und dich lasse ich ohnehin nicht mehr aus den Augen.« Sie griff erneut nach Kims Hand. »Jetzt lass uns hochgehen, wir müssen Annes Sachen aus der Wohnung holen.«
Auf einmal begann das furchtbare Video wieder vor ihrem inneren Auge abzulaufen, ohne dass sie es verhindern konnte, und ein Schauer überkam sie.
Langsam stiegen Jenna und Kim die Stufen zur Wohnung der Wrights hinauf. Im Flur war es still, von irgendwo klang das Ticken einer Uhr, und der Duft von Leder lag in der Luft. Es war kalt, Anne und Nicholas hatten wohl die Heizung abgedreht, bevor sie abgereist waren. Das Parkett knarrte laut.
Kim sah sich staunend um. »Kaum zu glauben, aber es sind noch mehr Bücher hier als beim letzten Mal«, stellte sie fest.
»Kann gut sein«, sagte Jenna und lächelte unwillkürlich. »Ännchen sagt immer, Nick kauft alles, was ihm in die Finger kommt. Ein echter Freak.« Sie ging ins Schlafzimmer und packte Wäsche und Kosmetika in eine kleine Reisetasche, die sie unten im Kleiderschrank gefunden hatte. Dann kehrte sie in den Flur zurück und blieb vor einem großen Regal stehen, in dem sich Bücher stapelten. »Geister, die dich rufen. Knochenhände, die sich mir entgegenstrecken. Ob wir hier was dazu finden? Es gibt doch Bücher zu quasi jedem Thema.« Sie wies auf die Titel.
Kim war neben sie getreten und las mit schräg gelegtem Kopf. »Das hier hilft uns nicht weiter. Alles Reiseliteratur. Entdecker und so was.«
»Hm.« Jenna blickte nachdenklich auf das Regal. »Ein wenig Hilfe wäre jetzt wirklich nicht schlecht«, murmelte sie und starrte die Bücherrücken an. »Eine Eingebung, ein kleiner Hin weis. Wie wär’s? Wer von euch kann uns weiterhelfen?«
Ein leises Wispern erfüllte erst den Flur, dann die anderen Räume. Es war, als würden die Bücher miteinander flüstern.
Jenna hob die Augenbrauen und legte den Kopf schräg. »Jetzt hör ich auch schon Stimmen«, stellte sie betont gelassen fest.
Kim sah sie entsetzt an. »Ich hör’s auch«, flüsterte sie dann mit großen Augen und versuchte, den Ursprung des Raunens auszumachen.
Das Wispern nahm nicht ab.
Je mehr Jenna versuchte, das Geräusch zu ignorieren, desto lauter wurde es. Sie presste die Hände auf die Ohren. Doch das Wispern blieb, schwebte in der Luft oder in ihrem Kopf, umhüllte sie wie ein Kokon. Dennoch – es hörte sich nicht bedrohlich an, im Gegenteil. Die wispernden Stimmen klangen freundlich, aufmunternd.
Kim trat ein paar Schritte zurück, um etwas Abstand zum Regal zu gewinnen. Das Wispern wurde nicht leiser. Wurden
Weitere Kostenlose Bücher