Das Wispern der Schatten - Roman
den gesegneten Erlösern für ihre Weisheit und ihre Taten zu danken. In Anerkennung seiner Ehrlichkeit und seines Glaubens im Angesicht außerordentlicher Versuchungen und Widrigkeiten wurde Damon von den Erlösern seliggesprochen und als ewiger Heiliger wiedergeboren, den man den heiligen Azual nennt. Er wurde fernerhin von den Erlösern damit beauftragt, die Lande südlich des heiligen Herzens auf ewig unter seinen Schutz zu nehmen, damit das Chaos nie wieder Einfluss auf das Volk dieser Gegend gewinnen könnte. Und so geschah es, dass in Hyvans Kreuz der Tempel des heiligen Azual errichtet wurde, damit der gesegnete Heilige in angemessenem Rahmen Pilger empfangen konnte und zugleich einen Rückzugsort zur Verfügung hatte, an den er alle paar Monate zurückkehren konnte, nachdem er in den Gemeinden im Süden all denen, die volljährig wurden, das heilige Sakrament der Ziehung gespendet hatte. Hier endet die Legende«, verkündete Hella schließlich und sah Prediger Praxis an.
Der Prediger nickte langsam und bedeutete ihr, zu ihrem Platz zurückzukehren. Sein Blick schweifte über die Klasse, hielt nach allen Ausschau, die nicht mit voller Aufmerksamkeit bei der Sache waren, und blieb am Ende auf Jillan ruhen.
» Jillan Jägersohn, was waren die drei Wunder, die der heilige Azual vollbrachte, als er noch als Damon bekannt war?«
Jillan hörte nur ein Rauschen in den Ohren. Er sah, wie sich die Lippen des Predigers bewegten, aber er konnte die Worte nicht richtig ablesen. Er spürte einen Druck hinter seinen Augen, und bevor er wusste, wie ihm geschah, fragte er auch schon: » Herr Prediger, es ist meine Pflicht, die Lesung besser zu verstehen. Könntet Ihr mir wohl sagen, ob einige der Heiden in die Berge entkommen sind? Und gibt es Flaumklamm noch?«
Die Klasse schnappte leise nach Luft. Instinktiv spürten alle, dass Jillan eine Grenze überschritten und sich an einen verbotenen Ort vorgewagt hatte. Sie wussten nicht, warum es falsch war, sondern nur, dass es falsch war, und das war alles, was sie wissen mussten.
Das Gesicht des Predigers wurde so streng, wie sie es noch nie gesehen hatten. Seine hohlen Wangen waren umschattet, seine Nasenlöcher eingezogen, seine Lippen blutleer.
» Du wagst es?«, flüsterte er. » Du wagst es, mich, einen Prediger des Reichs, auszufragen? Was für ein Makel ist in dir, Junge, dass dich die Heiden so brennend interessieren?«
Das Rauschen toste mittlerweile in Jillans Ohren, aber diesmal würde er sich nicht in die Falle locken lassen. » Sie sind unsere fürchterlichen Feinde, Herr Prediger. Wir müssen genug über sie erfahren, um zu wissen, wie wir uns am besten vor ihnen schützen können. Leben noch immer welche in den Bergen?«
In drohendem Ton und mit zusammengekniffenen Augen sagte der Prediger sehr leise: » Unsere beste Verteidigung gegen die finsteren und heimtückischen Schliche des Chaos ist das rechte Verständnis des Willens der Erlöser, und das ist alles, was wir benötigen, um uns zu schützen, wie du längst wissen solltest, Junge. Die genaue Lektüre der Heiligen Schrift und die Unterweisung, die der Prediger der Erlöser in Gottesgabe dir angedeihen lässt, sind genug!« Jetzt wurde seine Stimme lauter, und die Worte sprudelten schneller aus ihm hervor: » Genügt dir diese heilige Lehre in deinem Stolz und deinem Hochmut nicht, Junge? Du bist zu neugierig, um deine Gedanken zu bändigen und in sichere Bahnen zu lenken! Hüte dich, Jillan Jägersohn, denn das Chaos lauert beiderseits des rechten Weges, der dem Willen der Erlöser entspricht, und solltest du dich zu fragen beginnen, ob die Lichter und das Funkeln rechts und links davon der einladende Glanz eines verlorenen Schatzes sind, dann wirst du nur allzu leicht vom rechten Weg abweichen und für immer in die Irre gehen!« Speichel sprühte aus dem Mund des Predigers und glitzerte im matten Licht, das durch die Fensterläden drang. » Wenn du ein besserer oder frömmerer Schüler wärst, Jillan Jägersohn, dann hättest du nicht so rasch die heilsame Lektion über Kaspar den Neugierigen aus der Heiligen Schrift vergessen! Was benebelt deinen Verstand mit Vergessen? Nun? Du weißt es doch selbst, oder? Es ist der Makel der Verderbtheit, nicht wahr?«
Die anderen Schüler starrten Jillan entsetzt an. Sogar Hellas Gesicht verriet Zweifel und Angst.
Jetzt schrie der Prediger mit wildem Blick: » Du bist eigensinniger, als es dir guttut, Junge! Unberechenbar wie deine Eltern, ich sage es ja! Das
Weitere Kostenlose Bücher