Das Wispern der Schatten - Roman
kommen. Tränen begannen ihm über die Wangen zu strömen, und er zitterte. Was hatte er nur getan? » Ich bin mit einem M…Makel besudelt, Vater!«, stöhnte er. » Sie haben mich angegriffen. Ich habe Karl ge…getötet.«
In angespanntem Ton fragte Jed: » Bist du dir sicher, dass er tot ist?«
Jillan schüttelte den Kopf. » Er hat sich nicht gerührt. Vater, ich bin befleckt!«
» Nein!«, entgegnete sein Vater mit unerwarteter Heftigkeit. » Mit dir ist alles in Ordnung. Karl war wahrscheinlich nur bewusstlos, das ist alles. Es gibt gar keinen Makel. Den Unsinn hat dir doch der Prediger in den Kopf gesetzt! Du hast dich einfach nur verteidigt.«
» Aber d…da waren Lichter und ein lauter Knall! Ich war in der Schule frech. Der P…Prediger und ein paar Älteste kommen euch besuchen.«
Sein Vater hielt ihn eng an sich gezogen und begann schneller zu gehen. » Hör zu!«, flüsterte er mit Nachdruck. » Was auch immer geschehen ist, war vollkommen normal. Lass dir ja von niemandem etwas anderes einreden, verstanden? Sie haben es selbst verursacht. Mit dir ist alles in Ordnung.«
Als ihr kleines Haus in Sicht kam, rannte Jed bereits. In den Fenstern standen wie immer einladende Kerzen, und drinnen würde ein behagliches Feuer brennen.
» Maria!«, rief Jed zwischen schweren Atemzügen. » Maria, ich habe ihn!«
Die Tür flog auf, und Jillans Mutter kam heraus, warf einen Blick auf die beiden und eilte wieder hinein.
» Etwas warmen Tee oder Brühe, Maria, schnell! Oder sogar Wasser, wenn sonst nichts da ist.«
Alles begann vor Jillans Augen zu verschwimmen. Da waren Schreie. Schatten. Bilder blitzten auf und verblassten wieder. Er saß in dem großen Sessel beim Feuer. Wurde wieder hochgehoben. Eine Decke. Das verhärmte Gesicht seiner Mutter. Sein Kopf lehnte an etwas Hartem. » Trink das hier!« Ein Löffel. » Jillan! Ja, gut so.« Licht, das ihm in den Augen wehtat.
» …unsere Sachen packen. Wir müssen fliehen!«, sagte sein Vater gerade.
Noch ein Löffel, dessen halber Inhalt Jillan am Kinn entlanglief.
» Wovon redest du? Wir können nirgendwohin«, sagte seine Mutter mit bemüht ruhiger Stimme.
» Es hat einen Unfall mit einem Jungen gegeben, Maria, du weißt schon, welche Art Unfall ich meine. Und du weißt, was sie ihm antun werden. Das lasse ich nicht zu.«
Noch ein Löffel, dessen Inhalt etwas zu heiß war, aber Jillan konnte gar nicht anders, als zu schlucken.
» Nun mach doch nicht gleich die Pferde scheu, Jedadiah! Wir müssen nachdenken. Hör zu, wir sagen einfach, dass es ein Missverständnis war. Es ist auf dem Nachhauseweg geschehen, nicht wahr? Wer kann sich da schon sicher sein, was im Dunkeln passiert ist? Die Kinder waren nach dem Schultag müde und überdreht und sind einfach in Nachtangst geraten. Viele der Ältesten sind vernünftig, ganz gleich, was du von ihnen halten magst. Sie werden hier keinen Ärger wollen, nicht nach dem, was in Neu-Heiligtum geschehen ist.«
» Nein! Du weißt doch, wie der Prediger ist. Und der Heilige wird wissen, was geschehen ist. Sie wissen so etwas immer! Sie werden Jillan holen, und wir werden ihn verlieren. Wir werden ihn wahrscheinlich nie wiedersehen.«
Noch ein Mundvoll, dann konnte Jillan wieder schmecken und die köstliche Gemüsesuppe seiner Mutter mit allen Sinnen wahrnehmen.
Seine Mutter schwieg einen Moment lang. Er spürte ihre Bestürzung. » Aber wir können nirgendwohin, Jedadiah«, sagte sie mit zitternder Stimme. » Sie werden die Helden auf uns hetzen. Wir haben kein Pferd. Wir werden noch nicht einmal ungeschoren durchs Tor kommen.«
» Samnir hilft uns bestimmt!«, sagte Jillan hustend, während das Zimmer wieder Gestalt annahm.
Seine Eltern tauschten einen Blick. Plötzlich stand Jed in der Schlafkammer und zog die Bettlaken von den Strohsäcken. Er holte sich Säcke aus der Küche und begann, sie zu packen.
» Nein, Jedadiah! Hör mir zu! Hör auf damit!«
Jed hörte nicht auf.
» In diesen Belangen habe ich mehr zu sagen als du; du hörst jetzt sofort auf!«, befahl Maria in eisernem Ton.
Jed wurde langsamer, hielt dann inne und sah seine Frau an. Sein Gesicht wirkte sogar im Feuerschein gequält.
» Du hörst mir jetzt zu, alter Bär. Hör zu und denk nach! Wenn wir alle zusammen aufbrechen, wird man unverzüglich beginnen, jenseits der Mauern nach uns zu suchen. Ja, du kennst die Waldwege besser als manch ein anderer, aber man wird die übrigen Jäger auf unsere Fährte ansetzen. Jillan und ich werden
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