Das Wispern der Schatten - Roman
dazu, ihm zu glauben. Widersteh ihm, Jillan. Leg das Schwert weg. Ich werde dich reinigen, dann wird alles wieder gut. Ich werde mit den Ältesten von Gottesgabe sprechen, und sie werden deinen Eltern erlauben, wieder bei ihnen zu leben. Willst du Hella denn nicht wiedersehen?«
» Zurück! Pass auf!«, rief Aspin.
Jillan hatte zu blinzeln aufgehört, als der Heilige die Frage im Herzen der Dinge gestellt hatte: Er hatte Jillans geheiligtes Herz gefunden und es direkt angesprochen. » Ich… ich…«, stammelte er. Bei Aspins Warnung zuckte er zusammen und sah, dass der Heilige sich näher an ihn herangeschoben hatte.
Jillan versuchte, die Klinge zu heben und etwas Abstand zwischen sich und den Heiligen zu bringen, aber es war zu spät. Azual trat vor, schlug Jillan das Schwert aus der Hand und beförderte es mit einem Tritt hinter ihn. Dann schlang er lange, kräftige Finger um Jillans Hals und hob ihn vom Boden hoch. Aspin rannte auf den Heiligen zu, aber darauf war Azual vorbereitet: Er versetzte dem jungen Mann einen Tritt gegen den Brustkorb und schleuderte ihn rückwärts quer durch die Zelle. Der junge Krieger prallte gegen die Wand und brach zusammen.
Azual zog Jillans Gesicht dicht an sein eigenes heran. Jillan konnte sein blutrotes Spiegelbild und die pulsierenden Adern im erzürnten Auge des Heiligen sehen. Das so gut wie ständige Zähneblecken verlieh Azuals Gesicht einen wilden, animalischen Ausdruck. Sein heißer Atem stank nach altem Blut und Verwesung.
» Was hast du noch zu deiner Verteidigung zu sagen, Junge? Ich habe dir Gelegenheit gegeben zu bereuen, aber dir war es lieber, jeden zu verraten, der sich je um dich gekümmert oder dir je Unterkunft gewährt hat, als deine eigensüchtigen Begierden zunichtewerden zu sehen, nicht wahr? Dir ist es lieber, dich mit den neidischen Feinden des Reichs zusammenzutun? Was haben sie dir versprochen, hm? Wie teuer hast du deinen Glauben und deine Pflicht verkauft? Nein, leugne es nicht! Ich habe dich auf frischer Tat in Gesellschaft eines elenden Heiden ertappt. Es gibt keine einzige Gemeinde im ganzen Reich, in der du dafür nicht am Strick enden würdest. Was wird Hella denken, wenn sie das hört? Sie wird sich schämen und sich besudelt und schmutzig vorkommen, weil sie dich auch nur gekannt hat. Man wird ihr die Freundschaft, die sie dir geschenkt hat, noch jahrelang vorhalten. So fallen die Unschuldigen dem Chaos und seinen Handlangern zum Opfer! Nun, Junge, fehlen dir auf einmal die Worte, oder lassen dir deine Gewissensbisse die Antwort im Halse stecken bleiben?«
Jillan bekam keine Luft und musste beide Hände einsetzen, um den Druck auch nur eines Fingers des Heiligen auf seine Kehle zu mindern. Er sog verzweifelt Luft ein. » Ich…«
Der Heilige rammte Jillan eine Glasphiole in den Mund und zwang seine Kiefer, sich darum zu schließen. Das Glas zerbrach, schnitt ihm die Lippen auf und drang ihm in den weichen Gaumen an der Oberseite seiner Mundhöhle. Der breite Daumen des Heiligen strich an der Vorderseite von Jillans Hals entlang und löste den Schluckreflex aus. Jillan schmeckte Blut, vor allem sein eigenes, aber auch eine Flüssigkeit, die sich wie ein Aal seine Kehle hinabschlängelte. Er wollte würgen, aber allzu rasch wand sich die Flüssigkeit durch ihn hindurch, als sei sie auf der Suche nach irgendetwas. Gnädigerweise gelang es ihm, keine Glasscherben zu verschlucken, und er spuckte sie aus.
» Und im Austausch gegen mein Blut werde ich nun deines nehmen. Da ich dein Heiliger bin, gehört es von Rechts wegen mir. Du gehörst von Rechts wegen mir. Das Volk dieser Region gehört mir mit Leib und Seele. Niemand darf Magie wirken, wenn ich es nicht anordne und dulde. Aber du bist ein Verräter. Um der Sicherheit des Reichs willen sind dein Leben und deine Magie verwirkt«, sagte Azual voller Befriedigung und hob ein dünnes Röhrchen aus Sonnenmetall. Er hielt es wie ein Messer, holte damit aus und setzte an, es Jillan in den Hals zu rammen. Jillan sah wieder vor sich, wie der Gesandte des Reichs dem heidnischen Häuptling das Messer in die Kehle stieß.
Er wird dich ausbluten lassen, bis kein Tropfen mehr übrig ist. Und das willst du jetzt einfach geschehen lassen, nicht wahr, trotz all der Mühe, die ich mir gemacht habe?
Nein! Er wollte nicht, dass es so endete, in sinnlosem Entsetzen. Er konnte es nicht so enden lassen. Was würde aus seinen Eltern werden oder aus Samnir und Hella? Würden sie als Nächste an der Reihe sein?
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