Das Wispern der Schatten - Roman
einer Macht, die deine persönliche Existenz ebenso wie die der Gemeinden und des Volkes besitzt, diktiert und bestimmt. Ich habe die Menschen ins Reich gebracht, ich habe sie zu den Erlösern gezogen, ich verschaffe ihnen überhaupt erst ihre Daseinsberechtigung. Werdet Zeugen des Augenblicks meines Aufstiegs und meiner Vergöttlichung, ihr erbärmlichen, auf ewig unwürdigen Geschöpfe!«
Das Röhrchen fuhr auf Jillans Herz hinab. Er bäumte sich auf, und Magie flammte hell quer über seine Brust auf, verbrannte das weiße Hemd und enthüllte die Rüstung darunter. Die Symbole über seinem Herzen leuchteten, und die Kraft von Azuals Schlag fuhr auf den rauchenden Heiligen zurück und schleuderte ihn hintenüber. Er schlitterte über den Steinboden, sodass sich die verkohlte Haut in langen Streifen von seinem Körper löste.
Das Sonnenmetallschwert war in dem Gerangel weggeschoben worden und lag nun außerhalb von Jillans Reichweite. » Aspin?«, flüsterte er, aber er erhielt keine Antwort und hörte auch sonst kein Geräusch. Azual begann sich langsam zu regen.
Keuchend kämpfte sich Jillan in eine sitzende Stellung hoch und griff mit der Hand unter seine Rüstung, um die paar Steine hervorzuziehen, die er als Glücksbringer und Kraftspender mitgenommen hatte. Seine ungeschickten Finger ließen alle bis auf einen fallen. Der Rest landete verstreut auf dem Boden.
Der Heilige wälzte sich lautlos herum und stemmte sich mit den Armen hoch. Sein schreckliches Auge richtete sich auf Jillan. » Die Rüstung! Es ist dieselbe Rüstung, nicht wahr? Ha. Du kannst das nicht wissen.«
» Ich weiß es«, keuchte Jillan und musste sich anstrengen, um seinen Kiefer zu bewegen. » Ich war dabei!«
» Unmöglich!«, zischte der Heilige. » Keiner hat überlebt. Keiner!«
» Der Heilige ist nicht der Einzige, der immer Bescheid weiß. Du bist nichts Besonderes! Du bist nichts, hörst du? Du glaubst an nichts, gibst dem Volk nichts und machst das Leben aller zunichte!«
» Es reicht!«, rief der Heilige, aber seine Stimme hatte nicht mehr dieselbe vernichtende Kraft wie zuvor. » Du verstehst nichts von den Regeln der Macht. Du weißt nichts! Du brabbelst wie einer der Schwachsinnigen, die man gewöhnlich in Brunnen stürzt.«
» Du irrst dich! Ich weiß sehr viel. Sehr viel über dich.«
» Wovon sprichst du?«
Jillan holte bewusst Atem und gewann so Augenblicke, in denen er sich erholen konnte. Die einzige Schwierigkeit war die, dass der Heilige sich ebenfalls erholen würde. » Hast du das Buch der Erlöser nicht ganz gelesen? Du bist mir vielleicht ein schöner Heiliger! Es steht ein ganzes Kapitel über dich darin. Alle wissen, was dein Vater dir angetan hat, aber das musst du doch nicht an allen anderen auslassen!«
» Wage es nicht… ihn zu erwähnen!«
» Ha! Nur weil er grausam war, dich gedemütigt hat und dir die Freiheit geraubt hat, heißt das noch nicht, dass du allen anderen jetzt das Gleiche antun darfst. Ich habe gesehen, was du mit den Heiden angestellt hast, bevor Gottesgabe auch nur gegründet war. Du hast ihnen ihr Land gestohlen, ihre Häuser niedergebrannt und sie getötet. Anderen hast du die Freiheit genommen. An dir ist ganz und gar nichts Heiliges!«
» Blasphemie!«, zürnte der Heilige und schlug auf den Boden. » Böses Kind!« Er bewegte sich wieder auf Jillan zu. » Du hast die Erlöser nie gesehen. Du kannst nichts über ihre Großartigkeit wissen. Sie haben allen Frieden und Wohlstand gebracht. In ihrem Reich kann niemand so handeln, wie mein Vater es einst getan hat. Sie haben uns ihre göttliche Erlösung gebracht, obwohl die meisten ihrer nicht würdig sind. Und die Unwürdigen weigern sich, das zu verstehen, die Wunder der Erlöser wahrzunehmen, sich vor ihnen zu verneigen, ihre Pflicht zu tun und die von ihnen geforderten Opfer zu bringen, die doch in ihrem eigenen Interesse liegen und dem gesamten Volk nützen. Zum Wohle aller müssen die Unwürdigen zusammengetrieben, beherrscht und im Gebet in die Knie gezwungen werden.«
» Bleib mir vom Leib, Mörder! Ich warne dich!«
Aber der Heilige hörte nicht länger zu. Er stieß unverständliche Zorneslaute aus, als er auf Jillan zukam. Sein Auge verbrannte die Luft mit ungezügelter Macht. Heftige Hitze strahlte von ihm ab, und Rauch stieg aus seinem Kopf auf.
Jillan schluckte und versuchte, das Zittern seiner Hände zu unterdrücken. Er wartete bis zum letzten nur irgend möglichen Moment und schleuderte den Stein dann auf das
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