Das Wispern der Schatten - Roman
Anupal, wenn… wenn…«
Jillan wanderte durch die zerstörte Landschaft und suchte nach einem Lebenszeichen, irgendeinem. Von den Bäumen waren bloß noch ausgebrannte Stämme oder vom Wind zusammengetriebene Aschehaufen übrig. Der Himmel war eine einzige schwarze Rauchfahne, durch die von oben nur sehr wenig Licht drang. Überhitzte Steine und rauchende Trümmer glommen so hell, dass er in ihrem Schein sehen konnte, obwohl er sich nicht sicher war, wie viel von dieser Verwüstung er überhaupt noch sehen wollte. Es war drückend heiß, und die Luft war von Asche und Staub geschwängert.
Er hustete und stolperte über die nächste Anhöhe, wobei er mit jedem Schritt Asche aufwirbelte. Vor ihm lag ein großer, grüner Hügel, auf dessen Kuppe Obstbäume wuchsen und Kühe grasten. Reine Luft und Sonnenschein umgaben die Erhebung. Ein Meer verzweifelter Menschen drängte die Hänge hinauf, brach sich aber an einer unnachgiebigen Reihe von Helden, die mit Speeren mit Sonnenmetallspitzen auf sie einstachen. Auf dem höchsten Punkt des Hügels stand ein großer Thron, auf dem der einäugige heilige Azual sich sonnte.
Der Heilige erspähte Jillan sofort. » Was hast du in meinem Traum zu suchen, Heide?«, brüllte er über den Abgrund hinweg, der sie trennte.
» Sind das hier deine Gedanken?«, fragte Jillan angewidert.
» Scher dich fort aus meinem Kopf!«, heulte Azual, sprang von seinem Thron über den Abgrund und landete zehn Schritt von Jillan entfernt. » Wie kannst du es wagen, dir anzumaßen, über mich zu urteilen? All dies übersteigt dein Verständnis bei Weitem.«
» Was gibt es da zu verstehen? Ist das alles, was du herbeisehnst? Oder ist das eine Art Albtraum?«
» Dein Eindringen zerstört seine Schönheit«, behauptete Azual, stürzte sich auf Jillan und führte einen Fausthieb gegen ihn, der ihn am Kopf streifte.
Jillan blinzelte und schaute in einen blauen Himmel auf. Er atmete saubere Luft und war erleichtert, auf beiden Seiten gesunde Bäume an sich vorbeiziehen zu sehen. Ein weiterer Ruck durchfuhr ihn, und ihm wurde bewusst, dass er auf der Ladefläche eines fahrenden Wagens lag.
» Tut mir leid.« Aspin drehte sich lächelnd zu ihm um. » Diese Straße ist nicht so glatt wie die, die vom Haupttor von Erlöserparadies wegführt. Viele Pflastersteine sind lose. Wie fühlst du dich? Anscheinend werden wir nicht verfolgt, aber ich dachte, dass es dennoch das Beste wäre, gleich einen gewissen Abstand zwischen die Stadt und uns zu bringen, statt damit zu warten, bis du aufwachst. Wir sind die ganze Nacht durchgefahren.«
» Wasser?«
Aspin reichte ihm einen ledernen Wasserschlauch, und Jillan spülte sich die Phantomasche aus dem Mund.
» So ist es besser. Danke.« Jillan tastete sich an dem bewusstlosen Schmied vorbei und setzte sich neben Aspin auf den Kutschbock. Da ihm ein wenig flau war, fragte er: » Hast du irgendetwas zu essen?«
Aspin reichte ihm einen kleinen, etwas verschrumpelten Apfel. Jillan schlang ihn in wenigen Bissen herunter. Das würde reichen, bis sie anhielten und etwas Gehaltvolleres aßen.
» Er ist also gar nicht aufgewacht?«
Aspin schüttelte den Kopf. » Er hat sich noch nicht einmal bewegt, und er sieht entsetzlich blass aus. Ich habe mich natürlich nicht allzu nahe an ihn herangewagt, aber es geht ihm eindeutig schlecht. Ihm sind mittlerweile fast alle Haare ausgefallen, und er hat Blut auf den Lippen und um die Nase. Wenn wir ihn nicht dazu bringen können, etwas zu essen, wird er nur immer schwächer werden und schließlich sterben. Aber ich will ihn nicht berühren, also können wir ihn auch nicht füttern.«
Jillan rieb sich die Stirn, da ein stechender Kopfschmerz zwischen den Augen ihm das Denken erschwerte. » Wenn er zu sich kommt, wird der Heilige in der Lage sein, uns auch durch seine Augen zu sehen. Er wird alles erfahren, was wir sagen und tun, wohin wir gehen, alles.«
» Dann ist es also beschlossene Sache«, sagte Aspin mit zusammengepressten Lippen.
» Was?«
» Wir müssen ihn irgendwo zurücklassen.«
» Was? Wir können ihn doch nicht einfach zurücklassen!«
Aspin sah den Jüngeren an, als wäre er verrückt. » Natürlich können wir das. Es ist nicht unsere Schuld, dass er die Pest bekommen hat. Wir können nichts tun, um ihm zu helfen. Und je länger wir ihn bei uns behalten, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir uns auch anstecken.«
Wenn er nur nicht diese Kopfschmerzen gehabt hätte! » Hör mal, das ist einfach
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