Das Wispern der Schatten - Roman
nicht richtig. Verstehst du denn nicht? Wir haben ihn aus der Stadt mitgenommen, um entkommen zu können. Wenn wir ihn bei der Heilerin gelassen hätten, hätte sie ihn vielleicht gerettet. Wir sind verantwortlich. Wir können ihn nicht einfach in dem Wissen, dass es ihn umbringen wird, an der Straße liegen lassen.«
» Alles stirbt einmal, Jillan«, erwiderte Aspin ausdruckslos. » Seine Zeit ist gekommen, das ist alles. Vielleicht bist du zu jung, um das zu verstehen, oder einfach zimperlich. Hast du schon einmal einen Toten gesehen?«
» Als ich dich befreit habe, habe ich dich nicht murren hören, dass ich zu jung wäre! Und natürlich habe ich schon Tote gesehen. Ich habe sogar Leute getötet. Ich wette, das hast du noch nicht getan.«
Aspins Miene wurde verächtlich. » Ich bin Krieger und Jäger. Ich verstehe mich besser aufs Kämpfen und Töten als andere Menschen. Und außerdem wäre ich auch ohne deine Hilfe entkommen.«
» Lügner!«
» Ich bin kein Lügner. Du solltest mich nicht in meiner Ehre kränken, sondern lieber vorsichtig sein.«
» Ehre?«, fragte Jillan hämisch. » In welcher Hinsicht ist es ehrenhaft, einen Mann sterbend an der Straße zurückzulassen? Du bist bloß ein mordlüsterner Heide!«
» Nimm das zurück!«, knurrte Aspin und legte die Hand an sein Messer. » Ich warne dich.«
Jillan griff auf seine Magie zurück, und die Kopfschmerzen explodierten in seinem Verstand. Er sah nur noch rot und schleuderte Aspin vom Wagen. Er sah das Herz des Kriegers in der Brust schlagen, sah, wie leicht es sein würde, es platzen zu lassen. Doch das würde zu schnell gehen und alles andere als befriedigend sein. Er wollte den Heiden erst leiden sehen und würde mehr und mehr Magie in ihn einströmen lassen. Er fühlte sich so stark, so im Recht, wenn er wie jetzt vor Macht brannte. Sicher würde er nun eins mit den Erlösern werden und zur Göttlichkeit aufsteigen. Endlich würde er das gesamte Volk dieser erbärmlichen Welt beherrschen.
Ich lasse nicht zu, dass du mich so zerstörst, knurrte der Makel und versuchte, Jillan seine Magie zu versagen.
» Ja!«, rülpste Jillan mit der Stimme des Heiligen. » Mein Wille ist allmächtig. Ich herrsche hier!«
Jillan spürte, wie er zerrissen wurde, als der Makel und die Macht des Blutes des Heiligen um die Oberhand rangen: Die Magie forderte, losgelassen zu werden, der Heilige versuchte zu töten, und sein Verstand flehte ihn an, Aspin zu retten. So würde er sterben!
» Jillan, hör auf!«, bat Aspin von dort, wo er von zuckenden, wild knisternden Blitzen umgeben auf der Straße lag. » Es tut mir leid! Wir nehmen den Schmied mit.«
Der Schmied! Jillan wandte sich dem sterbenden Mann zu und ließ den aufgestauten Zorn aus seinem Innern gezielt auf ihn los. Nachdem die Energie verschwunden war– die Energie, die ihn genauso sehr aufrecht gehalten wie vergiftet hatte–, blieb Jillan hilflos zurück. Er kippte vom Wagen auf die Straße neben Aspin.
» Du hast vielleicht ein Temperament!«, bemerkte der Bergkrieger. » Erinnere mich daran, mich nie wieder mit dir anzulegen, ja? Jillan? Jillan?«
Kinder und erwachsene Dorfbewohner liefen Prediger Praxis nach, als Torpeth ihn durch das untere Dorf des Bergvolks führte. Die meisten trugen Pelze oder Ziegenfelle, die Krieger in aller Regel mit nackten Armen und Beinen. Sie waren neugierig: Die Frauen streckten die Hände aus, um den Stoff seines Mantels zu betasten, die Kinder riefen ihm Fragen zu, und die Männer standen ihm mit Absicht im Weg, um zu sehen, ob er sie herausfordern oder einen Bogen um sie machen würde. Fast alle hatten breite, flache Gesichter, stumpfe Nasen und niedrige Stirnen.
Durch Inzucht verdorbene Barbaren, dachte der Prediger bei sich und schlug ein paar Hände beiseite, die ihn betasteten, was allgemeine Heiterkeit in der Menge hervorrief. Wie konnten solche Leute es wert sein, gerettet zu werden? Sie konnten dem Reich doch sicher nichts von Wert einbringen, es sei denn vielleicht Sklavenarbeit. Aber sogar in der Hinsicht wirkten sie zu ungeschickt und ungebärdig, um die Mühe der Überwachung wert zu sein. Wie konnte solches Ungeziefer überhaupt eine Bedrohung für das Reich darstellen? Oh, aber das Chaos war listig und verschlagen! Der erste Anschein war immer trügerisch, wenn es um den uralten Feind ging. Sie mochten ja einfältig wirken, aber das war sicher nur eine Tarnung ihrer gerissenen und Zwietracht stiftenden Natur. Diese Leute hatten Geheimnisse,
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