Das Wispern der Schatten - Roman
nicht von hier weg. Sie sind zu Hause und werden sich nicht von zwei nächtlichen Leisetretern stehlen lassen!«, schnaubte Thomas.
Mit zitternden Händen hob Jillan den Bogen und legte einen Pfeil an die Sehne. » Bleib uns vom Leib. Du hast uns diese Pferde versprochen, Thomas Eisenschuh, erinnerst du dich nicht mehr? Du kannst uns nicht aufhalten. Ich lasse mich hier nicht einsperren.«
» Gehört es sich etwa, so mit jemandem zu reden, der dich in sein Haus eingeladen, dir seine Gastfreundschaft und sein bestes Bier geschenkt und dir gar noch erlaubt hat, seine Tochter zu umwerben? Stiehlt man sich da einfach nachts davon, ohne auch nur danke und auf Wiedersehen zu sagen? Das ist kein anständiges Benehmen. Du solltest dich schämen, Junge.«
» Na, na«, sagte Bion begütigend. » Es ist spät, und wir sind alle müde. Wir versuchen doch nur, uns dir gegenüber nach allem, was du für Thomas getan hast, anständig zu verhalten, und hoffen, dass du uns im Gegenzug ebenfalls anständig behandelst. Wir glauben nicht, dass es klug von dir ist, nach Hyvans Kreuz zu reisen, aber wenn du das wirklich willst, steht es dir natürlich frei. Wie versprochen werden wir dir den schnellsten Weg dorthin zeigen.«
» Gut. Dann brechen wir jetzt nach Hyvans Kreuz auf. Zeigt uns nur die richtige Richtung, dann sind wir fort.«
Bion zog sinnend an seiner Pfeife. » Nun gut, dann tun wir das morgen früh. Aber eines solltest du wissen. Aspin glaubt nicht, dass es eine besonders gute Idee ist, nach Hyvans Kreuz zu gehen, nicht wahr, Aspin? Er glaubt nicht, dass ihr beiden Jungen allein große Aussichten habt, gegen die dortige Garnison aus Tausenden von Helden zu bestehen, ganz zu schweigen von dem Heiligen, der natürlich immer Bescheid weiß. Aspin glaubt, dass du dir etwas vormachst. Und Aspin will sogar bleiben. Das hat er Betha doch versprochen, stimmt’s, Aspin? Nun mach schon, erzähl es Jillan.«
Aspin senkte schuldbewusst den Blick. » Jillan, ich…«
» Schon gut. Sag nichts. Bleib auf dem Pferd!«, sagte Jillan mit zusammengebissenen Zähnen, ohne seinen Freund anzusehen. » Ich gebe dir noch eine letzte Gelegenheit, Bion: Zeig uns den richtigen Weg.«
» Dein Ton gefällt mir nicht, Junge!« Thomas trat auf sie zu.
» Nur ruhig, mein guter Thomas, ruhig«, beschwichtigte ihn Bion. » Jillan, wenn du schon fortmusst, dann denk wenigstens darüber nach, dich nach Westen zu wenden. In dieser Region hier wütet die Pest. Die heilige Izat hat aber verkünden lassen, dass Flüchtlinge aus dem Süden in ihrer westlichen Region willkommen sind. Und du weißt, dass deine Eltern nicht wollen, dass du dein Leben aufs Spiel setzt. Du bist einfach zu wichtig. Überlegst du es dir zumindest, Jillan?«
Aspin sah Jillan schief an. » Vielleicht sollten wir es uns wirklich überlegen.«
Selbstzweifel schrien von einer Seite auf Jillan ein, und von der anderen raunte ihm die Versuchung etwas zu. Es gab keinen Ausweg. Wie ist es hiermit, Jillan? Wie ist es damit, Jillan? Du hast nicht über dieses oder jenes oder sonst irgendetwas nachgedacht, nicht wahr? Halt einfach einen Augenblick inne, dann wird alles gut. Sogar sein Freund, sein einziger Freund, fand, dass er innehalten sollte. Aber dann würde sich nichts verändern.
» Den richtigen Weg, Bion! Sofort!«, sagte Jillan mit zitternder Stimme.
» Na gut. Wir zeigen ihn dir morgen früh, wenn wir uns alle ordentlich ausgeruht haben. Jetzt ist es zu dunkel. Wir gehen nach drinnen, essen, schlafen, verabschieden uns und brechen dann früh auf.«
Es klang vollkommen vernünftig. Unentschlossenheit lähmte Jillan. Er konnte nicht denken. Er war so müde. Er konnte nichts mehr hören, nur seinen eigenen Herzschlag, das Blut, das ihm in den Ohren rauschte, und den heulenden, heulenden Wahnsinn in seinem Verstand. Die reißende, ewig rastlose Bestie, den brutalen, schrecklichen Wolf. Der Wolf! Warum konnten sie ihn nicht hören?
Jillan wandte zitternd den Kopf und ließ den Pfeil fliegen. Er zischte durch die Luft und zerschlug Bions Pfeife, sodass die glühende Asche dem Gnom ins Gesicht stob und sich auf dem Hof verteilte. Thomas brüllte, riss den Hammer hoch und stürmte auf Jillan zu. Als der Gnom mit einem Aufschrei hintenüberfiel, wurden das Haus und der Stall für einen so kurzen Moment, dass es schien, als ob das Auge dem Verstand einen Streich spielte, zu Ruinen.
Jillan riss kräftig an den Zügeln, und der Apfelschimmel bäumte sich auf und hielt Thomas mit
Weitere Kostenlose Bücher