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Das Wispern der Schatten - Roman

Das Wispern der Schatten - Roman

Titel: Das Wispern der Schatten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam J Dalton
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oder gespenstisch heulte, klang er hier, durch die runden Öffnungen und klaffenden Torbögen gefiltert, beruhigend und fast melodisch. Azual fiel es im Tempel leicht zu meditieren, während seine Gedanken einander anderswo gegenseitig unterbrachen und miteinander rangen.
    Und er schien besser zu sehen, wenn er es dem Tempel gestattete, seinen Geist zu beruhigen. Er bildete sich sogar ein, jetzt weit mehr sehen zu können als zu der Zeit, als seine Augen noch ihren Zweck erfüllt hatten. Es war fast so, als ob seine Augen ihn davon abgehalten hätten, klar zu sehen. Jetzt, da er ausschließlich durch andere sah, gab es keinen vorrangigen Blickwinkel, der andere aussperrte. Mittlerweile sah er so gut wie jeden Gegenstand oder Vorgang aus mehreren Perspektiven zugleich, und das bedeutete, dass er alles auch auf komplexere Art als zuvor verstand. Sein Bewusstsein hatte sich erweitert. War es so, ein Erlöser, ein Gott zu sein?
    Vielleicht musste er also seine Augen gar nicht wiederherstellen. Er konnte auch ohne sie zurechtkommen. Aber es widerstrebte ihm zutiefst, von anderen– und noch dazu von niederen Geschöpfen– abhängig zu sein, um sehen zu können. Ja, er hatte seine Fähigkeiten so weit geschult, dass er zugleich durch die Augen jedes Lebewesens in Hyvans Kreuz sehen konnte und ihm dabei keine Einzelheit entging, aber es verlangte seiner Macht ständig einen hohen Preis ab. Er hatte nie genug Macht, sei es, um seine Augen wiederherzustellen oder sein erweitertes Bewusstsein aufrechtzuerhalten. Er musste mehr haben. Nichts sonst spielte eine Rolle. Er musste den Jungen haben! Der Junge würde ihm alles geben, was er brauchte, ob er nun wollte oder nicht. Und wenn Azual Jillan erst den letzten Hauch von Magie abgezapft hatte, würde er umfassend und blutig Rache an dem Jungen nehmen.
    Während Azual sich auf seinem Tempelthron räkelte, blinzelte der diensthabende Held müde. Azuals direkter Blick auf sich selbst wippte und schwankte, ohne dass es in seiner Macht gestanden hätte, etwas daran zu ändern. Ihm wurde schwindlig, als er sich selbst in seinem eigenen Verstand wie in einem zerbrochenen Spiegel sah. Er würde sich nie daran gewöhnen, würde es nie hinnehmen können. Es war demütigend, an solch ein widerliches, grobschlächtiges Geschöpf wie diesen Soldaten gebunden zu sein.
    » Geh mir aus den Augen!«, sagte der Heilige zornig. » Schick einen Ersatz.«
    Als der Soldat hinauseilte, wechselte Azual in einen anderen Blickwinkel, um stattdessen durch die Augen des hereinkommenden Hauptmanns Skathis zu sehen. Azual sah, wie er sich selbst auf dem Thron vorbeugte und böse auf den Mann hinabzustarren schien.
    » Es ist keine Spur gefunden worden, Hauptmann! Nichts!«
    Azual sah plötzlich den Boden vor Skathis’ Füßen. Ihm wurde bewusst, dass der verdammenswerte Narr sich vor ihm verbeugt hatte.
    » Nun, was habt Ihr zu Eurer Verteidigung zu sagen, Hauptmann? Habt Ihr eine Erklärung für das spektakuläre Versagen Eurer Männer? Wenn ja, dann sollte sie besser gut sein!«
    » Heiliger, die heilige Izat hat alle Südländer, die vor der Pest fliehen wollen, in die westliche Region eingeladen«, antwortete der Hauptmann gefasst. » Es könnte sein, dass der Krieger und der Junge…«
    » Was?«, zischte Azual. » Wie kann sie es wagen! Das ist empörend! Ich kann nicht glauben… Wartet einmal. Schickt zusätzliche Wachen aus Erlöserparadies los, um die Grenze von unserer Seite her abzuriegeln.«
    » Das habe ich bereits veranlasst, Heiliger.«
    » Hervorragend, Hauptmann. Ich sehe, dass ich gut daran getan habe, Euch zu ernennen.«
    » Wir patrouillieren in beträchtlicher Truppenstärke an der Grenze, Heiliger. Sofern die Flüchtigen sich nicht sofort nach ihrem Aufbruch aus Erlöserparadies nach Westen gewandt haben, können sie nicht entkommen sein. Wir werden sie finden.«
    » Ich bezweifle, dass sie sich so rasch nach Westen gewandt haben. Warum hätten sie das tun sollen? Ich habe immer noch die liebenden Eltern des Jungen. Er weiß, dass ihm nur eine Woche bleibt, sich hier zu stellen. Doch um ganz sicherzugehen, werde ich eine Ägis über den Verstand aller Menschen in der Region legen, damit sie nach den Flüchtigen Ausschau halten und sofort jede Sichtung melden. Ich werde jedem ein Bild der Jungen in den Verstand setzen. Das wird mich allerdings ermüden, also sorgt dafür, dass bis morgen früh die Bestrafungskammern voller neuer Verbrecher sind. Und lasst alle Kinder, die noch nicht

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