Das Wispern der Schatten - Roman
Nacht geschehen war, aber Bion hatte ihn davor gewarnt, Magie einzusetzen. Das war es: Er hatte mit Bion gesprochen und sich dann auf dem Weg zurück zur Schmiede und zu Thomas’ Haus verlaufen. Stara hatte ihn am Ende gefunden und ihn nach Hause geführt, aber als sie dort angekommen waren, war es schon stockdunkel gewesen. Er hatte den freundlichen Gesichtern und der Wärme des Feuers dankbar erlaubt, sein Leid zu lindern, und sich willig am fröhlichen Feiern beteiligt. Hatte er nicht irgendwann auf dem Tisch gestanden, um ihnen allen ein Lied vorzusingen? Es war ihm jetzt etwas peinlich, sich daran zu erinnern, aber es hatte Stara gefallen.
Er runzelte die Stirn. Noch ein verlorener Abend. Er schob den übergroßen Kissenhaufen beiseite, um sich freier bewegen zu können, setzte die Füße auf den Boden und bemerkte, dass er nur seine Unterwäsche trug. Wo waren seine anderen Kleider? Erleichtert sah er, dass sie über einen Stuhl gehängt waren, und streifte sie rasch über. Wo war sein Bündel? Was war aus seiner Rüstung geworden? War sie magisch und deshalb etwas, das er meiden musste? Nein, sie hatte ihm mehr als einmal das Leben gerettet, und er wollte sie wiederhaben. Hinzu kam, dass er sie sich eigentlich nur von dem heidnischen Häuptling geliehen hatte, also musste er sich bemühen, gut damit umzugehen. O nein! Wo war sein Sonnenmetallschwert, das Samnir geopfert hatte, obwohl er gewusst hatte, dass es das Einzige war, womit er sich gegen den heiligen Azual verteidigen konnte? Thomas war immer interessiert daran gewesen. Hatte er es etwa entwendet?
Jillan durchquerte das Zimmer und stieß die Tür auf. Stara wartete schon auf ihn und verstellte ihm den Weg.
» Da bist du ja, Jillan. Ich habe dich seit gestern Abend vermisst.« Sie errötete reizend. » Möchtest du mitkommen und mit mir Pilze für das Frühstück sammeln?«
Er nahm sie bei den Oberarmen und schob sie sanft beiseite. » Erst einmal muss ich mein Bündel finden und dann Aspin und Ash.«
Er stieg die Treppe hinab, und Sabella kam auf ihn zugeeilt. » Da bist du ja, Jillan. Gestern Abend hast du wieder zu viel Bier getrunken.« Sie zwinkerte verständnisvoll. » Du möchtest sicher ein bisschen Honigbrot. Das isst du doch am liebsten. Es steht schon alles für dich bereit.«
Er schenkte ihr ein kleines Lächeln und sah sich dann gründlich in dem großen, offenen Raum um. Alles glänzte, und man wusste gar nicht, was man zuerst ansehen sollte: die polierten Eichenstühle, die blanke Oberfläche des mit geschnitzten Blättern verzierten Tisches, das Messing um den frisch gefegten, stets brennenden Kamin, das Licht, das von den zarten Porzellantellern zurückgeworfen wurde und durch Gläser mit eingemachtem Obst schien, das funkelnde Besteck, Staras leuchtende Augen und ihr weißes Kleid, Sabellas rosige Wangen oder den Sonnenschein, der durch die offene Tür und die Fensterläden hereinströmte.
Jillan hielt nach Schatten Ausschau, in denen Gegenstände verborgen sein mochten. Ah, da drüben. Er ging zu der Nische unter der Treppe. Ganz nach hinten geschoben lagen seine Rüstung und sein Schwert. Er zog sie hervor und begann sie anzulegen. Dann sah er sein Bündel und die beiden Bögen, die er auf dem Wagen versteckt hatte, bevor er Aspin in Erlöserparadies befreit hatte. Auch die nahm er an sich.
Sabellas Lächeln schwand. » Aber Jillan, mein Lieber, willst du denn ausgehen? Du solltest etwas essen, bevor du aufbrichst. Wie wäre es mit Tee? Ich habe schon einen aufgesetzt. Ich würde es mir nie verzeihen, wenn du gehen würdest, ohne dass dich etwas bei Kräften hält.«
Jillan zog die letzte Schnalle seiner Rüstung fest und fühlte sich sofort wieder mehr wie er selbst. Die goldenen Symbole auf seinem Brustpanzer funkelten, und er glaubte, in der Ferne etwas zu hören. War das ein Heulen? Nun, da er darüber nachdachte, kam er zu dem Schluss, dass der Wolf schon eine ganze Weile heulte– oder etwa nicht? Er hatte es anscheinend bis jetzt nur nicht bemerkt.
» Ich komme mit«, erklärte Stara und folgte ihm durch die Tür. » Damit du dich nicht wieder verläufst.« Sie lachte voller Zuneigung und wirkte niedergeschlagen, als er nicht mit einfiel. » Willst du, dass ich dich erst zu Aspin bringe? Nach der Stimmung zu urteilen, in der Betha vorhin war, ist er wohl wieder bei Bion.«
Jillan nickte und ließ sich von ihr an der Schmiede vorbeiführen, in der Thomas gegen seinen Drachen kämpfte, über den Bach, durch den Hain
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