Das Wispern der Schatten - Roman
Geas schließlich doch noch aufstöbern und in ihren Besitz bringen, und es wird diese Welt nicht mehr geben. Jetzt verschwinde, Seelenleser, kleiner Krieger und Sohn des Schnees, denn ich bin unvorstellbar müde, und Pralar wird nur allzu bald erwachen. Hinfort!« Torpeth winkte ihn weg.
Verstört und verwirrt stand Aspin auf. Pralar undTorpeth schnarchten nun beide. Er wandte ihnen den Rücken zu, nahm seinen Jagdbogen und seinen Köcher und ging zur Tür. Er konnte nicht glauben, dass er jetzt ohne eigene Schuld aus seinem Stamm verbannt war. Er würde alles und jeden zurücklassen müssen. Er hatte nichts und würde im Flachland weniger als nichts sein. Was für ein Leben konnte man ohne seinen Stamm schon führen?
Er trat in den Schnee hinaus und beschirmte seine Augen vor der Sonne, die grell davon reflektiert wurde. Sie wärmte ihn ein wenig, und er fragte sich, ob Sinisar vom Leuchtenden Pfad versuchte, nach ihm zu greifen. Konnte er nach ihm suchen? Die Suche würde ihm zumindest für einige Zeit eine Art Ziel verleihen, obwohl die Alten Götter doch angeblich gefallen und gebrochen waren wie Land und Leute auch.
Wenigstens hatte er jetzt anstelle des fauligen Gestanks in Torpeths Haus saubere Luft in der Lunge, und wenn er nie mehr einen Pinienkern sah, würde das immer noch zu früh sein. Nichtsdestotrotz war ihm alles genommen worden, was er je gekannt hatte, als wäre er der nackte Krieger und derjenige, der die Schuld trug. Konnte es sein, dass er doch irgendeinen Fehler begangen hatte? Er hatte den verdammten Hirsch gejagt, das war es gewesen. Und er hatte sich entschlossen, zu Torpeths Haus zu gehen. Und Pralar zum Wohle des Stammes am Leben zu lassen. Ja, der Fehler lag bei ihm, genau wie bei allen anderen Dingen. Es gab kein Entkommen… aber er würde dennoch zu entkommen versuchen, selbst wenn es ihn das Leben kostete. Er hatte schließlich nicht viel zu verlieren, denn laut Torpeth war er nichts als ein schmächtiges Kind. Und wenn er versagte, würde er zumindest nicht mehr da sein, um sich darüber Gedanken zu machen.
Aspin kehrte den Bergen den Rücken und richtete seine Schritte ins Flachland und zu den gierigen Anderen. Er schauderte bei dem Gedanken, was für einen Empfang sie ihm wohl bereiten würden, wenn selbst sein eigenes Volk ihn verbannte.
Jillan stapfte zwischen den Bäumen am Rande der Straße hindurch. Er ging auf einem dicken Teppich aus Kiefernnadeln und totem Laub, der an den meisten Stellen verhindert hatte, dass Unterholz hochspross, und so kam er recht ordentlich voran. Dennoch wechselte er aufs Pflaster, um schneller zu wandern, wann immer er an einen langen, geraden Abschnitt der Straße gelangte, auf dem er den Verkehr schon sehen konnte, bevor er in seine Nähe kam.
Aber er entdeckte den ganzen Tag über keinen einzigen Reisenden. Er marschierte vom frühen Morgen bis fast zur Abenddämmerung. Seine Füße waren zu dem Zeitpunkt schon mehr als nur ein wenig wund, und er freute sich auf ein bisschen Ruhe. Es würde eine Erleichterung sein, aus dem kalten Wind herauszukommen, der sein Gesicht zu Eis erstarren ließ und ihm Ohren, Nase und Lippen gründlich betäubte. Ob es nun klug war oder nicht, er plante, heute Abend ein Feuer zu entzünden. Sonst– so dachte er mit einem Lächeln– würde er sich doch nur die Hälfte all dessen, was er zu trinken versuchte, über die Kleider gießen.
Die heidnische Rüstung, die er trug, war ein wahrer Segen, denn sie verteilte nicht nur die Last seines Bündels, sondern hielt auch seinen Körper den ganzen Tag über warm. Er fragte sich, wie gut er wohl ohne sie zurechtgekommen wäre. Vielleicht wäre er gezwungen gewesen, den Tag über Unterschlupf in einer Höhle oder einem Graben zu suchen, und wäre nicht näher an Erlöserparadies herangekommen. Er hätte vielleicht sogar Tag für Tag ein Versteck suchen und seine Vorräte aufbrauchen müssen, sodass er immer schwächer geworden wäre, bis… Nein, es hatte keinen Sinn, darüber nachzudenken. Es war nur der Makel in ihm, der versuchte, ihn zu entmutigen und zur Verzweiflung zu treiben, so dass er kaum noch Widerstandskräfte haben würde, wenn das Chaos kam, um ihn zu holen, und nur umso mehr in Versuchung sein würde, sich ihm hinzugeben.
Es ist nur der Makel, achte gar nicht darauf. Doch das war schwierig. Verstärkte die heidnische Rüstung womöglich den Makel in ihm? War es eine verfluchte Rüstung? Der Gedanke entsetzte ihn. Er sollte sie ausziehen, bevor es zu
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