Das Wispern der Schatten - Roman
Boden zu zwingen. Aspin versuchte, Pralar die Augen auszukratzen, aber der Häuptlingssohn hatte die größere Reichweite, sodass es ihm gelang, den Kopf erhoben und aus dem Weg zu halten. Der Druck um Aspins Hals steigerte sich, und er hörte seine Wirbelsäule dort knacken, wo sie am Schädel ansetzte.
Vielleicht hätte er den Stein doch auf Pralars Stirn schleudern sollen. Wenn er etwas zur Seite gezielt hätte, wäre das Wurfgeschoss vielleicht nicht tödlich gewesen und hätte Pralar stattdessen nur besinnungslos geschlagen. Jetzt würde er es nie herausfinden. Dumm, auf diese Weise in einem schmutzigen Grassodenhaus zu sterben, das kaum für Ziegen gut genug war. Dumm, wegen der geflüsterten Torheiten eines Wahnsinnigen zu sterben. Dumm, so jung zu sterben. Dumm, um eines Hirsches willen zu sterben. Dumm, überhaupt gelebt zu haben. Es war kein sehr erwähnenswertes Leben gewesen. Dumm.
Sein Gesichtsfeld verdunkelte sich an den Rändern und schmolz zu einem kleinen Punkt zusammen, als würde er am Grunde eines tiefen Brunnens liegen und nach oben blicken. Dann stand Torpeth wieder neben Pralar und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Pralars Griff lockerte sich. Er schloss die Augen und sackte auf seinem Opfer zusammen.
» Schwerer Ochse!«, keuchte Torpeth, als er Pralar von Aspin herunterzog. » Er wird aber ein guter Häuptling werden und starke Söhne und listige Töchter zeugen.«
Pralars künftige Zuchtqualitäten kümmerten Aspin im Augenblick überhaupt nicht. Er war zu beschäftigt damit, seine Kehle dazu zu bringen, sich zu öffnen, damit er atmen konnte. Er hustete kräftig und sog dann einen halben Atemzug ein, der süß schmeckte, obwohl er wehtat.
» W…warum?«, fragte er heiser.
» Ach, kein Grund, mir zu danken!«, brummte Torpeth, als wäre er derjenige, dem ein Leid geschehen war.
Aspin kämpfte sich hoch, bis er mit dem Rücken zur Wand dasaß. Er starrte den heiligen Mann, der vor ihm hockte, böse an. » Er hätte mir das Genick brechen können!«
Torpeth schnaubte. » Das hätte mir vielleicht erspart, dein kindisches Geschwätz anhören zu müssen.« Er betrachtete einen seiner langen, rissigen Fingernägel, als würde er ihn zum ersten Mal sehen, und kaute hungrig darauf herum.
» Warum? Das ist doch nicht zu viel verlangt.«
Torpeth seufzte, schüttelte den Kopf und sah Aspin von der Seite an. » Nicht zu viel, sagt er. Es ist alles. Vielleicht hat er ja doch noch nichts gelernt. Zu jung, vielleicht, aber er wäre nicht hergekommen, wenn er zu jung wäre. Vielleicht hat er aber ja auch recht. Vielleicht ist alles nichts.« Dann zuckte er die Achseln.
» Verdammt, Torpeth!«, versuchte Aspin ärgerlich zu schreien. » Sag doch bitte endlich einmal etwas, das einen Sinn ergibt!«
Der heilige Mann prustete den jungen Krieger an und drehte sich dann um, bis er ihm den Rücken zuwandte. Es hätte Aspin nicht erstaunt, wenn der elende Kerl ihn vollgekotet hätte, aber stattdessen murmelte Torpeth laut: » Sinn, sagt er, als ob er irgendetwas wüsste. Er ist unwissend, woher soll er also wissen, was Sinn ist? Er sieht ja noch nicht einmal ein, dass Pralar glauben musste, dass er irgendeine Prüfung bestanden hat, um bis ans Ende seiner Tage ein selbstbewusster Anführer zu sein. Unwissend, unwissend! Er sieht noch nicht einmal, dass ich diese Steine absichtlich für ihn dorthin gelegt habe, sieht nicht, dass auch er auf die Probe gestellt worden ist, die ihm helfen sollte, etwas zu lernen. Torpeth vergeudet seine Zeit mit diesem langsamen Ochsen. Schlimmer noch, Torpeth hat all seine Pinienkerne an den gierigen Ochsen verschwendet. Es hat ewig gedauert, all die Kerne zu sammeln. Jetzt verhungere ich wahrscheinlich.«
Aspin konnte nicht umhin, sich etwas schuldig zu fühlen. » Warum hast du das denn nicht längst gesagt?« Er massierte sich den schmerzenden Hals und dachte darüber nach, was das, was er gerade gehört hatte, zu bedeuten hatte. » Also hast du die Steine absichtlich dorthin gelegt? Aber sie waren doch schon da, bevor ich hergekommen bin. Wie…«
Torpeth rührte sich nicht und antwortete auch nicht.
» Also wusstest du, dass ich den Stein werfen würde. Aber du wusstest auch, dass ich Pralar nicht töten würde, nicht wahr? Das musst du gewusst haben, weil du die ganze Zeit über wolltest, dass er Häuptling wird, ein starker Häuptling, nicht wahr? Aber woher konntest du das wissen? Warum hast du mich in solch eine Lage gebracht? Was hast du geprüft, und was hast
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