Das Wispern der Schatten - Roman
Erlöserparadies sind für die anderen Gemeinden ein großer Segen! Ich weiß zufällig sogar, dass Oberhändler Johann ein außerordentlich großzügiger Wohltäter von Prediger Baxal ist und dem Tempel immer mehr als den erforderlichen Zehnten zahlt. Vermute gar nicht erst das Gegenteil, junger Aspin, denn wir wollen den Händlern von Erlöserparadies doch keinen unnötigen Ärger mit dem Heiligen bescheren, nicht wahr?« Dann schnappte Jacob auf einmal nach Luft und wirkte, als sei ihm übel.
» Geht es dir nicht gut, mein lieber Jacob?«
Mit schwacher Stimme antwortete der Händler: » Der Heilige weiß immer Bescheid. Er hat uns sicher gehört. Oh Erlöser, vergebt uns unsere neidischen und unreinen Gedanken! Komm, Aspin, stimm in mein Bußgebet mit ein!«
Aspin murmelte irgendwelchen Unsinn, um mitzuspielen. Anscheinend nannten die Flachlandbewohner die Anderen » die Erlöser« und beteten sie an. Es war offensichtlich, dass Jacob glaubte, dass die Erlöser über die Art von Kräften verfügten, die Göttern zu Gebote stehen mussten, aber wie konnte das sein? Die Anderen waren gewöhnliche Lebewesen, das hatte Aspins Volk jedenfalls immer geglaubt. Doch wie hätten gewöhnliche Lebewesen die alten Götter stürzen können? Wie konnte ein Mensch seinen Gott besiegen? Das war lächerlich, nicht wahr? Warum hätte ein Mensch seinen Gott auch nur stürzen sollen?
Er kratzte sich am Kopf. Vielleicht würde ein Mensch in den Rang des Gottes aufsteigen wollen, wie die Erlöser es getan hatten. Vielleicht würde ein Mensch den Gott auch einfach loswerden wollen. Beide Gründe waren schlüssig. Jetzt, da er darüber nachdachte, war er sich nicht mehr sicher, warum genau er die alten Götter finden und wiedereinsetzen wollte. Ließ er sich nicht einfach von Torpeth lenken? Warum sollte er überhaupt eine neue Autorität über sich aufrichten wollen? Überdies– wer wusste schon, ob die Erlöser nicht letztlich besser als die alten Götter waren? Nach allem, was Jacob ihm erzählt hatte, waren die Flachlandbewohner in ihrem Reich glücklich und wohlhabend und konnten relativ frei über ihr Leben bestimmen. Konnte es sein, dass es Aspins Volk im Reich besser ergangen wäre?
Er seufzte, als er sich an einen Teil seiner Offenbarung aus dem heiligen Eibenhain erinnerte. Es lief alles immer wieder auf das Geas hinaus. Die alten Götter waren die Beschützer des Geas gewesen, der Lebenskraft der Welt. Da die Erlöser an die Stelle dieser Götter getreten waren und ein Reich geschaffen hatten, in dem sie über eine Mehrheit der Menschen dieser Welt herrschten, waren sie nicht mehr weit davon entfernt, über das Geas gebieten zu können. Wenn es nicht Menschen wie Aspins eigenes Volk gegeben hätte, dann wäre die Herrschaft der Erlöser absolut gewesen. Also kam es darauf an, was die Erlöser mit dem Geas vorhatten. Wenn ihre Absichten ausschließlich eigensüchtig waren, dann würde es keinen Willen und keine Bedeutung mehr über das hinaus geben, was von den Erlösern vorgeschrieben wurde. Es würde keine Freiheit und kein Entkommen geben, niemals! Wenn sie es hingegen gut mit dem Geas meinten, dann würden alle bis ans Ende ihrer Tage ein erfülltes, glückliches Leben führen.
Glücklich bis ans Ende ihrer Tage? Aspin konnte sich nicht vorstellen, was genau das heißen mochte. Das Leben verlief nie so, weil es immer neidische und selbstsüchtige Menschen wie Pralar gab, deren Version eines glücklichen Lebens sich nur auf Kosten anderer verwirklichen ließ. Außerdem war es ganz offensichtlich, dass Jacob Angst hatte, wann immer er den Heiligen erwähnte. Anscheinend hatte das Volk des Reichs etwas von seinen Erlösern zu fürchten.
» Mach dir keine Sorgen, mein guter Jacob. Wenn der Heilige immer Bescheid weiß, dann muss er doch auch wissen, dass wir uns zwar in Spekulationen ergangen, sie aber sogleich wieder bereut haben, als uns unser Fehler bewusst geworden ist. Der Heilige ist gewiss verständnisvoll und vergibt uns unsere Unvollkommenheit.«
» Äh… ja, natürlich! Das stimmt, der Heilige weiß sicher, dass wir es nicht böse gemeint haben. Er ist… b…b…barmherzig. Ja, er ist barmherzig. Dennoch sollten wir heute Abend lange und innig beten.«
» Erhört der Heilige solche Gebete?«
Jacobs fröhliches Lächeln und entspanntes Gebaren waren mittlerweile völlig verschwunden. Er sah Aspin entsetzt an. » Warum fragst du so etwas, Aspin, mein Junge?«, flüsterte er. » Bist du darauf aus, göttliche
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