Das Wörterbuch des Viktor Vau
versucht, sie telefonisch zu erreichen, sondern war sogar zu ihrer Wohnung gekommen. Sie hatte weder abgehoben noch ihm geöffnet. Sie fragte sich, ob er wegen des Wörterbuchs gekommen war. Hegte er einen Verdacht? Es wäre die logische Schlussfolgerung gewesen, denn auÃer ihr, Marek und Vau wusste niemand, dass er das Notizbuch in Verwahrung genommen hatte. Da Marek bei ihm gewesen war, fiel er als Verdächtiger aus. Von Viktor hatte sie seit seiner Unterbringung in Thuras Wohnung nichts mehr gehört. Sie war zwar heute nach der Arbeit dort vorbeigegangen, aber Viktor hatte nicht geöffnet. Sie hatte fast eine halbe Stunde gewartet, aber er war nicht aufgetaucht. SchlieÃlich war sie zurück in ihre Wohnung gefahren.
Dort lief sie fast eine Stunde herum und fand keine Ruhe. Enrique hatte sich den ganzen Tag nicht mehr gemeldet, und sie fragte sich, ob sie ihn anrufen sollte. Es war fast, als seien er und Vau vom Erdboden verschwunden.
Sie wollte gerade seine Nummer wählen, als es an der Tür klingelte.
Das konnte nur Enrique sein! Sie stürzte in den Flur und betätigte den Drücker. Dann öffnete sie die Tür und wartete auf ihn.
Der Mann, der die Treppe heraufkam, war nicht Enrique.
Sie hatte ihn noch nie zuvor gesehen.
Sie trat einen Schritt zurück, bereit, in die Wohnung zu springen und die Tür zuzuwerfen, aber der Fremde lächelte freundlich und sah nicht so aus, als wolle er sie bedrohen. Er spürte wohl ihre Skepsis, denn er blieb einige Stufen vor dem Treppenabsatz stehen.
»Guten Abend, Frau Apostolidis.« Seine Stimme klang angenehm weich, ohne schmierig zu sein. Sie konnte ihn jetzt im Licht der Lampe vor ihrer Tür besser sehen. Er mochte knapp fünfzig Jahre alt sein, war mittelgroà und leger gekleidet. Das Gesicht hatte etwas Jungenhaftes, dem allerdings der melancholische Zug widersprach, der ihn umgab. Auf jeden Fall sah er nicht sonderlich gefährlich aus.
»Ja?«, erwiderte sie zurückhaltend.
»Mein Name ist Winter. Wenn Sie erlauben, würde ich mich gerne kurz mit Ihnen unterhalten.« Er hielt ihr eine Identitätskarte hin.
Sie warf einen Blick darauf. »Dagombé? Das ist doch das Land â¦Â«
»â¦Â in dem sich Professor Vau kürzlich aufgehalten hat«, vollendete er den Satz. »Und über ihn möchte ich gerne mit Ihnen sprechen.«
Sie gab ihm den Ausweis zurück und zögerte einen Moment, bevor sie ihn aufforderte, einzutreten.
Er hielt sich respektvoll ein Stück von ihr entfernt. Sie deutete auf die Wohnzimmertür. »Dort hinein, bitte.«
Er nickte und folgte ihr. Sie bot ihm einen Platz auf dem Sofa an und setzte sich selbst in den Sessel ihm gegenüber. Ihr Besucher schlug die Beine übereinander und lehnte sich zurück.
»Frau Apostolidis, ich will sofort zur Sache kommen«, begann er, nachdem er sich einmal im Raum umgesehen hatte. »Ich arbeite für den Sicherheitsdienst von Dagombé. Wie Sie wissen, war Professor Vau auf Wunsch Ihrer Regierung bei uns. Und er hat das Land nicht gerade in der Touristenklasse verlassen.«
Astarte nickte nur leicht, sagte aber nichts. Sie wartete ab, worauf der Mann hinauswollte.
»Nun, wie Sie ebenfalls wissen, ist Professor Vau in die Stadt zurückgekehrt«, fuhr er fort. »Sie haben ihm über Ihre Freundin Thura eine Wohnung verschafft.«
»Habe ich das?« Astarte konnte ihr Erstaunen nicht mehr länger verbergen.
Winter seufzte. »Nicht nur ich weià das, sondern inzwischen auch die Sicherheitsdienste dieses Landes. Sie haben Professor Vau und Ihren Freund Enrique in ihrer Gewalt.«
Die Nachricht traf Astarte wie ein Fausthieb. »Das glaube ich Ihnen nicht«, stieà sie hervor, obwohl sie tief in ihrem Innersten spürte, dass der Mann die Wahrheit sagte.
Ihr Besucher lächelte nicht mehr. »Leider ist es die Wahrheit«, sagte er mit ernstem Gesicht. »Ich bin hier, um Sie um Ihre Hilfe zu bitten.«
»Hilfe? Was kann ich Ihnen gegen die Geheimdienste schon helfen?«, fragte Astarte.
»Das wird sich zeigen.« Winter sah ihr direkt in die Augen. »Wissen Sie zum Beispiel, wo sich Professor Vaus Notizbuch befindet, in dem er die Grundzüge seiner Sprache niedergeschrieben hat?«
Das war es also! Dieser Kerl war hinter Viktors Wörterbuch her! Und woher sollte sie wissen, dass er überhaupt die Wahrheit sagte, was die Festnahme Viktors und
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