Das Wörterbuch des Viktor Vau
stand er mit zweien seiner Männer vor dem schäbigen Backsteinhaus. Als auf ihr Klingeln niemand öffnete, liefen sie die Treppen bis in den dritten Stock hoch. Die Wohnungstür stellte für ihren automatischen Türöffner kein Problem dar. Während einer seiner Leute vor der Tür zurückblieb, um den Wohnungsinhaber abzufangen, sollte er zurückkehren, durchsuchten Fellner und sein Kollege die kleine Wohnung. Offenbar hatte der Mieter etwas unter dem Sofa versteckt, denn dort hing ein loser Klebestreifen herunter.
Wer ein Versteck hat, der hat auch mehrere, dachte Fellner und begann, Schränke abzurücken und hinter Schubladen zu tasten. Aber es war sein Kollege, der fündig wurde.
»Sehen Sie mal, Chef«, sagte er, als er aus dem Bad zurückkam. In seiner Hand baumelte eine durchsichtige Plastiktüte, die mit Hautstücken gefüllt war.
Als die Medien eine Stunde später den Fahndungsaufruf erhielten, saà Fellner bereits wieder in seinem Büro und sichtete die Informationen, die sie über Enrique da Soza besaÃen.
disut:
Log des Protektors
Die Jagd auf Viktor Vau nähert sich ihrem Höhepunkt. Es kann sein, dass dies das letzte Log ist, das ich schreibe, denn meine Mission sieht vor, mich notfalls zur Erfüllung meiner Aufgabe töten zu lassen.
Natürlich könnte ich mich meinem Auftrag entziehen. Ich bin in dieser Welt völlig frei. Niemand kann mich zur Rechenschaft ziehen, und niemand würde je davon erfahren, wenn ich in diesem Augenblick verschwinden und mir anderswo ein neues Leben aufbauen würde.
Aber das wird nicht geschehen.
Nicht, weil ich nicht Zweifel an meinen Auftraggebern bekommen hätte. Meine Erfahrungen in den letzten Monaten haben mir deutlich gemacht, dass ein Leben ohne Stimmen und ohne vollkommene Sprache viele positive Seiten hat. Ich habe sogar begonnen, einige davon zu genieÃen. Bin ich deswegen ein anderer Mensch geworden? Ich glaube nicht.
Noch stets denke ich in der Sprache, mit der ich aufgewachsen bin, auch wenn ich spüren kann, dass sich die Sprache, die ich hier spreche, immer vertrauter anfühlt. Es wird nicht mehr lange dauern, und ich werde anfangen, darin zu denken. Das war etwas, mit dem Juli sicher nicht gerechnet hat.
Bin ich unglücklich über diese Entwicklung? Ich weià es nicht. Mein Leben, das ich früher geführt habe, kommt mir heute sehr weit weg vor. Manchmal, wenn ich mich dazu zwinge, die Dinge logisch zu durchdenken, empfinde ich eine gewisse Sehnsucht nach einer Welt, in der alles klar geregelt ist. Es macht das Leben um so viel einfacher. Ãhnlich ging es mir, als durch das Implantat die Stimmen in meinem Kopf abgeschaltet wurden. Auf einmal musste ich Verantwortung übernehmen, etwas, das ich nie gelernt hatte. Ich kann verstehen, dass viele Menschen einen Zustand der Klarheit und Eindeutigkeit dem Unsicheren und Ungewissen vorziehen.
Ironischerweise ist Viktor Vau ein Mensch, der sich standhaft weigern würde, sein Leben von anderen bestimmen zu lassen. Für ihn spielen Präzision, Logik und Struktur zwar eine groÃe Rolle, aber nicht als Kontrollinstrumente für die Gesellschaft. Nicht, weil er ein gesellschaftskritischer Mensch wäre, sondern weil in seiner Welt die Politik überhaupt nicht vorkommt. Sie taucht höchstens einmal als störende Bürokratie auf, wenn er von irgendwoher eine Genehmigung benötigt. Ansonsten lebt er fast auÃerhalb aller gesellschaftlichen Strukturen.
Dazu trägt sicherlich auch bei, dass er selbst der herrschenden Oligarchie entstammt. Er ist mit allen Privilegien der Dynastie aufgewachsen und hat sie als selbstverständlich hingenommen. Bis zum heutigen Tag profitiert er davon. Ich glaube, Rebellion wäre das Letzte, was ihm in den Sinn kommen würde.
Ganz im Gegensatz zu den Brunnensuchern . Auch sie waren Kinder aus besseren Kreisen, auch sie hätten ein Leben voller Privilegien genieÃen können. Aber sie entschieden sich für einen anderen Weg, der schlieÃlich meinen kreuzte.
Die Falle für die Brunnensucher entwickelte sich zu einem ungeahnten Fiasko.
Einen Tag vor der geplanten Zeitreise hatte die Zentrale Kontakt mit mir aufgenommen und mich angewiesen, zurückzukommen. Zuerst glaubte ich, Juli wollte mich für den Zugriff einteilen, aber er erklärte mir, es handele sich um eine reine VorsichtsmaÃnahme. Falls etwas schiefgehen würde, wäre ich so in
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