Das Wörterbuch des Viktor Vau
mich drum kümmern.«
»Kümmern reicht nicht. Ich möchte, dass die Wachen ab heute Nachmittag verstärkt sind.«
Das war gar nicht mehr der nette Onkel, sondern der eiskalte Leiter des Sicherheitsdienstes, den Rudolf in seinem Leben zum Glück nur einmal kennengelernt hatte. Es war eine Erfahrung, die er nicht wiederholen wollte.
»Du kannst dich darauf verlassen«, sagte er. »Und das zweite?«
»Das wird dich nichts kosten.« Fitzsimmonsâ Stimme war wieder so verbindlich wie zuvor. »Ich möchte heute Abend ein kleines Treffen veranstalten. Es soll möglichst diskret sein und auf absolut neutralem Boden stattfinden. Ich hatte da an den Unabhängigkeitspalast gedacht.«
Rudolf schluckte. Der Unabhängigkeitspalast war eines der Prunkstücke der Weltausstellung â und eines der Gebäude, in dem noch ordentlich etwas zu tun war. Wenn Fitzsimmons ihn benutzen wollte, musste er für mindestens zwei Stunden die Bauarbeiten unterbrechen, was den ohnehin knappen Zeitplan noch mehr verkürzte. Aber er wusste, dass es nur eine Antwort gab.
»Das wird nicht einfach, aber ich werde es einrichten«, erwiderte er etwas gequält. »Wann genau soll das Treffen stattfinden?«
»Heute von zehn Uhr bis etwa Mitternacht. Ich werde dir eine Liste der Teilnehmer zumailen, damit du die Wachen am Haupttor informieren kannst. Und schärf ihnen ein, niemanden sonst reinzulassen.«
»Wird gemacht.« Damit konnte er den gemütlichen Abend mit seiner Freundin vergessen. Er überlegte, wie er es ihr am schonendsten beibringen konnte, ohne dass sie einen ihrer Ausbrüche bekam und seine Anrufe die nächsten vier Wochen nicht mehr beantwortete. »Ich werde mich persönlich um alles kümmern.«
»Sehr schön, mein Junge. Ich ruf dich an, wenn wir fertig sind, damit du deine Arbeitssklaven wieder ans Werk schicken kannst. Und dann sollten wir uns auch mal wieder treffen. Es ist nicht gut, so lange nichts voneinander zu hören.«
Sie tauschten noch ein paar Belanglosigkeiten aus und legten dann auf. Rudolf lieà sich in seinen Stuhl fallen und atmete tief durch. Er gab sich keinen Illusionen hin. Das war mit Sicherheit nur die erste einer Reihe von Gefälligkeiten, die er Fitzsimmons erweisen durfte. Rudolf fragte sich, wie viele andere Menschen wohl wie er in der Schuld des Mannes standen. Jede Menge, darauf hätte er gewettet, wenn er noch gespielt hätte.
Er schüttelte den Kopf und griff zum Hörer, um die zusätzlichen Wachleute anzufordern.
2.
Es war überraschend kühl geworden. Ein Kälteeinbruch aus dem Norden, wie die Wetterdienste vermeldeten. Dazu blies ein eisiger Wind, ein Vorbote des nahenden Winters.
Armand de Moulinsart war froh, am Morgen einen Mantel mitgenommen zu haben. Er fischte ihn aus dem Kofferraum der Limousine, die soeben vor dem Haupteingang des Weltausstellungsgeländes vorgefahren war. Neben ihm standen zwei seiner Männer, die sich um Enrique kümmerten.
De Moulinsart hatte den Jungen seit den frühen Morgenstunden ununterbrochen verhört. Er war mindestens ebenso erschöpft wie sein Gefangener, aber die Aussicht auf die Konfrontation mit Fitzsimmons belebte ihn.
Der Junge war die ganze Zeit bei seiner Darstellung geblieben. Zwei von de Moulinsarts Leuten hatten seine Wohnung durchsucht und bestätigt, dass offenbar etwas unter dem Sofa befestigt gewesen war. Der Klebestreifen hing exakt so da, wie Enrique es beschrieben hatte. Inzwischen war de Moulinsart geneigt, ihm zu glauben. Blieb die Frage, wer Vaus Notizbuch hatte.
Fitzsimmons sicherlich nicht, sonst hätte er das Treffen nicht anberaumt. Viktor Vau befand sich in seiner Gewalt, aber er brauchte natürlich das Notizbuch. Auch Winter kam als Täter nicht infrage. Warum hätte er sonst sein Kommen zugesagt? Und vor allem: Warum brachte er die Assistentin von Vau mit? Was konnte sie wissen, das Vau nicht wusste?
De Moulinsart knöpfte seinen Mantel zu und setzte sich in Bewegung. Kurz vor dem Tor zog er Enrique noch einmal beiseite.
»Sie haben verstanden, was Sie sagen müssen? Dass Sie mir das Notizbuch gegeben haben?«
Enrique nickte müde. »Wenn Sie wollen. Ich weià nur nicht, welchen Vorteil Sie sich davon versprechen.«
»Das lassen Sie meine Sorge sein. Spielen Sie mit, und Sie können anschlieÃend als freier Mann nach Hause gehen.«
»Wie Sie meinen.«
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