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Das Wörterbuch des Viktor Vau

Titel: Das Wörterbuch des Viktor Vau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Ruebenstrunk
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auseinandergesetzt.
    Der Präsident lächelte. »Kommen Sie, Winter, spielen Sie nicht den Dummen. Sie kannten mein Land schon nach einem halben Jahr besser als diese ganzen Wirtschaftsberater in ihren maßgeschneiderten Anzügen, die sich seit Jahren hier aufhalten.«
    Winter nickte. »Das hat mit dem Beruf zu tun, Sir. Es kann nie schaden, das Umfeld, in dem man sich bewegt, etwas näher zu kennen.«
    Â»Und ich dachte, es wäre persönliches Interesse an meinem Volk«, erwiderte Banda mit gespielter Enttäuschung. Er kam zum Schreibtisch zurück und reichte Winter die Holzfigur. »Also?«
    Winter betrachtete die Schnitzerei. Das Holz war schwarz grundiert und dann in grellen Farben bemalt worden. Die Figur war etwa zwanzig Zentimeter hoch und stellte einen sitzenden Mann dar, dessen Beine zu kurz und dessen Oberkörper zu lang waren. Um den Hals trug er eine schwere goldene Kette. Sein Gesichtsausdruck war nichtssagend wie bei so vielen Abbildern afrikanischer Gottheiten. Sein hervorstechendes Merkmal war das zweite Gesicht, das zwischen den Schulterblättern saß und dessen Mund zu einem breiten Grinsen verzogen war.
    Â»Das ist eine Statue des Gottes M’bene, Sir. Er ist einer der mächtigsten Götter der Banku, am ehesten vergleichbar Loki in der nordischen Sagenwelt. Die Banku glauben, dass M’bene die göttlichen Gesetze außer Kraft setzen kann, um die Menschen zu verwirren.«
    Banda nickte anerkennend. »Aber im Gegensatz zu Loki verfolgt M’bene mit seinen Spielereien einen erzieherischen Auftrag. Immer, wenn die Menschen sich zu sicher fühlen und glauben, sie würden die Welt und ihre Gesetzmäßigkeiten verstehen, greift er ein, um ihnen ihre Unkenntnis und Unvollkommenheit vor Augen zu führen.«
    Â»Also könnte M’bene hinter dieser Raumkapsel stecken?« Winter stellte die Figur vorsichtig auf den Tisch.
    Â»Gut möglich, meinen Sie nicht? Wenn die Wissenschaft glaubt, die Welt erklären zu können, dann ist das doch genau der richtige Zeitpunkt für ihn, um uns wieder in unsere Schranken zu weisen.«
    Â»Eine sehr kluge Gottheit, Sir«, kommentierte Winter. »Sie halten es also für denkbar, dass die Kapsel aus der Zukunft kommt?«
    Â»Ich wäre ein Narr, wenn ich diese Möglichkeit ausschließen würde.« Banda beugte sich vor. »Und ein viel größerer Narr, wenn ich die Möglichkeiten nicht nutzen würde, die sich für mein Land daraus ergeben.«
    Â»Möglichkeiten, die uns derzeit noch unbekannt sind, Sir«, betonte Winter.
    Â»Nicht ganz. Wir wissen, dass dieser Professor Vau irgendwas mit der Sache zu tun hat. Er muss also etwas entdeckt oder erfunden haben, das entscheidende Auswirkungen auf die ferne Zukunft hat. Eine Zukunft, in der Zeitreisen offenbar möglich geworden sind. Und ich würde gerne erfahren, was Vau so wichtig macht, dass die Absender dieser Kapsel das Großmutter-Paradox in Kauf nehmen, um uns etwas über ihn mitzuteilen.«
    Â»Ich denke ebenso, Sir«, pflichtete Winter ihm bei. »Zufällig habe ich Professor Vau seit seiner Ankunft überwachen lassen und bin informiert darüber, wo er sich jetzt befindet.«
    Banda sah ihn scharf an. »Wussten Sie etwa schon vorher Bescheid?«
    Winter schüttelte den Kopf. »Intuition, Sir. Wie Sie vorhin so schön erklärt haben, ist Rationalität nicht alles.«
    Â»Touché.« Der Präsident erhob sich, nahm die Holzfigur und stellte sie wieder ins Regal zurück. »Sie bekommen alle Mittel, die Sie brauchen. Wir müssen als Erste den Inhalt der Botschaft erfahren.« Er legte Winter die Hand auf die Schulter. »Wer weiß, vielleicht kann uns das sogar bei unserem anderen Vorhaben von Nutzen sein.«
    Â»Vielleicht, Sir.« Auch Winter stand auf.
    Â»Ich wollte, Sie würden einmal wie ein normaler Mensch reagieren!« Banda klopfte sich auf die Brust. »Wissen Sie, was ich hier habe? Gefühle, Winter. Freude, Aufregung, Angst, Trauer. Was sitzt bei Ihnen an dieser Stelle? Ein Stein?«
    Â»Das Herz, Sir«, erwiderte Winter ungerührt.
    Banda warf die Arme in die Luft. »Ich gebe auf! Verschwinden Sie und finden Sie heraus, was Vau so wertvoll macht. Aber vergessen Sie die andere Angelegenheit nicht.«
    Er kehrte zu seinem Schreibtisch zurück und vertiefte sich in eine Akte. Die Audienz war beendet. Vor dem Büro wartete

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